Orientierung

Freitag, 19. August 2011

Demografischer Wandel und Pflegenotstand – zwangsläufig miteinander verbunden?

Betrachtungen zum Älterwerden
von Kreisrat G. Dietmar Rode

Eine Gesellschaft reproduziert sich ganz natürlich durch die Geburten. In früheren Zeiten gab es in der Regel viel mehr Kinder als heute, während die alten Menschen im Durchschnitt früher starben. Die grafische Darstellung dieses soziologischen Sachverhaltes erinnert an eine Pyramide, d.h. die Bevölkerungspyramide. Die Bevölkerung hält sich dann zahlenmäßig annähernd stabil, wenn die Zahl der geborenen Kinder pro Frau bei 2,1 (Fertilitätsrate) liegt.
Foto: Rode
Seit den 50er Jahren hat sich das (in beiden Teilen Deutschland mit leichter Zeitverschiebung) grundsätzlich verändert. Einerseits stieg die durchschnittliche Lebenserwartung durch die Verhinderung von Kriegsverlusten, die ständige Verbesserung des Lebensstandards und den wissenschaftlichen Fortschritt, insbesondere im Gesundheitswesen. 2007 geborene Jungs könnten danach 77 und Mädchen 82,5 Jahre alt werden. Andererseits mussten und wollten Frauen nicht mehr so viele Kinder zur Welt bringen. 2009 gebaren die deutschen Frauen statistisch gesehen je 1,36 Kinder (SZ 19.08.2011, S. 2).

Das Ganze nennt sich demografischer Wandel: die „Pyramide“ wandelte sich zum „Tannenbäumchen“. Dazu kommt das veränderte Migrationsverhalten. Die erhöhte Abwanderung junger Menschen aus Deutschland (besonders aus Ostdeutschland) verschärfte diesen Trend.
Die demografische Entwicklung lässt sich nur sehr schwer und langfristig beeinflussen. Es ist vor allem eine Aufgabe der Politik, die Lebensbedingungen dafür so positiv zu beeinflussen, dass Abwanderungen künftig weniger werden bzw. wieder mehr Kinder zur Welt kommen. Die dabei wirkenden Faktoren sind vielfältig und oft kompliziert.


DIE LINKE im Sächsischen Landtag hat sich vor diesem Hintergrund mit einer Studie der Pflegesituation für alte Menschen in Sachsen zugewandt. Unter Redaktion von Dr. Dietmar Pellmann und unter Mitwirkung u.a. von Kerstin Lauterbach entstand die Broschüre „Pflegekollaps verhindern!“ (Dresden, Mai 2011). 
Ein Ausgangspunkt ist, dass die Bevölkerung Sachsens von 1990 bis 2010 um 13,2% gesunken ist. Außerdem ist das Durchschnittsalter in dieser Zeit von 39,4 auf 45,9 Jahre gestiegen ist. Bedenklich ist dabei, dass immer weniger junge Menschen immer mehr ältere, arbeitsunfähige Menschen versorgen müssen. Das ist nicht nur problematisch für den Arbeitsmarkt, sondern stellt auch das bestehende Rentensystem in Frage und es erhöhen sich die Aufwendungen zur sozialen Sicherung. Im Landkreis Meißen hatten wir 2009  eine Altersquote (Verhältnis der über 65jährigen zur Bevölkerung) von 24,6, d.h. rd. 0,45 Mio unter 15 jährigen standen 2,7 Mio 15 – 65jährige und 1,0 Mio über 65jährige gegenüber. Und die Altersquote wächst weiter an. Dem gegenüber sinkt die Bevölkerungszahl weiter und könnte 2025 deutlich unter 3,8 Mio liegen, d.h. 9 – 12% weniger als heute. 1990 waren wir noch fast 4,8 Mio Sachsen.
Welche Konsequenzen sind für die Altenpflege in Sachsen hervorzuheben?
  
  • Wir brauchen mehr Pflegekapazitäten, d.h. mehr qualifizierte Pfleger sowie mehr und verbesserte Pflegedienste und –heime. Im Jahr 2009 gab es Landkreis Meißen bereits 2.649 Plätze in 43 Pflegeinrichtungen und 2.120 Pflegebedürftige wurden durch 62 ambulante Pflegedienste betreut. Es wird davon ausgegangen, dass in den nächsten 10 Jahren zwischen 10.000 und 27.000 Pflegekräfte mehr in Sachsen benötigt werden (z.Z. 48.350). 
  • Die Finanzierung der Altenpflege wird immer aufwändiger und komplizierter. Gegenwärtig gibt es in Sachsen etwa 10.500 Pflegebedürftige (23%), bei denen Altersrente, Pflegeversicherung und eigene Rücklagen nicht ausreichen, um die Kosten für die notwendige Pflege aufzubringen, d.h.  sie sind auf Sozialhilfe angewiesen. Der Anstieg der Zahl dieser Pflegebedürftigen liegt seit 2001 bei +120%. Die finanzschwächeren Altenjahrgänge stehen uns aber erst noch bevor, nämlich diejenigen, die z.B. unter längerer Arbeitslosigkeit zu leiden hatten und Einbußen durch früheren Rententritt hinnehmen müssen
Wenn die Politik solchen Trends nicht nachkommt, wird extremer Pflegenotstand entstehen. DIE LINKE im Sächsischen Landtag und im Bundestag will das energisch verhindern. Nicht zuletzt wird eine Partei daran gemessen, wie sich ihre Sozialpolitik für alle Altersschichten entwickelt. Demografischer Wandel und Pflegenotstand sind nicht zwangsläufig miteinander verbunden. „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ ist nicht nur ein oft plakativ gesehenes Gebot aus der Bibel, sondern vor allem ein grundlegender humanistischer Anspruch.
Ende August beginnen in einer Modellregion von 23 Kommunen zwischen Großenhain und Kamenz soziologische Untersuchungen durch das Regionalmanagement des Dresdner Heidebogens zu Bedürfnissen und Lebensbedingungen älterer Menschen (vgl. SZ, 25.07.2011, S. 14). Das können wir nur begrüßen. Politik ist in die Pflicht genommen. Deshalb sollte auch die Kreistagsfraktion DIE LINKE dem Landrat schnellstmöglich einen Fragekatalog zur Situation in der Altenpflege des Landkreises vorlegen, um zu erfahren, wo aktueller und zukünftiger Handlungsbedarf ist.
(Dieser Artikel erscheint demnächst in "DIE LINKE im Elbland")

Dr. G. Dietmar Rode, Kreisrat und selbstständiger Dozent für die Altenpflege

1 Kommentar:

  1. Hallo Dietmar, Du schreibst allgemein von Pflegekräften. Wir sollten u.a. deutlicher von Fachkräften schreiben. Ein weiterer Punkt sind die Kontrollen des MDK. Auf was wird mehr Wert gelegt? Auf die Akten oder die Arbeit mit und am Menschen. Eigentlich müsste die ganze, praktizierte Minutentreiberei aufhören.Ein weiteres Feld sind die Seniorenbeiräte. ich schreibe wahrscheinklich einen Leserbrief zu Deinem Artikel. Harald

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