Rede von Falk Neubert, MdL
zur 33. Sitzung des Sächsischen Landtages
am 21.04.2016
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
zunächst möchte ich mich bei CDU und SPD ganz ausdrücklich dafür bedanken, dass sie heute die Große Anfrage der LINKEN zum Thema Medienkompetenz und Medienpädagogik im Freistaat Sachsen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Das ist ein ganz ungewöhnlicher Vorgang und zeugt von einer gewissen Größe der
Regierungsfraktionen. Da es geschäftsordnungstechnisch gar nicht so einfach ist, die Initiative einer anderen Fraktion auf die Tagesordnung zu heben, haben Sie sich des Kunstgriffes eines noch schnell formulierten
Pro-Forma-Antrages bedient. Clever gedacht!
Nehmen Sie mir es jetzt nicht übel, ich will auch nicht undankbar sein, aber das hätten Sie doch auch noch lieber uns machen lassen sollen. Der Antrag wäre dann einfach besser geworden. Sie werden jetzt natürlich gleich sagen:
Nein, es hat alles nichts mit der Großen Anfrage der LINKEN zu tun. Es ist nur der blanke Zufall, dass der Koalitionsantrag unmittelbar nach der Antwort auf die Große Anfrage kommt. Sie dürfen das auch sagen - es glaubt Ihnen aber sowieso keiner. Ich sehe es positiv: Wir sind uns einig, dass dringend über das Thema gesprochen werden muss.
Also zum Thema: Sehr geehrte Damen und Herren, wir hatten eine Große Anfrage
zum Thema Medienkompetenz und Medienpädagogik gestellt, die das Handeln der
Staatsregierung auf diesem Feld nicht etwas an idealen Ansprüchen oder gar
am Wahlprogramm der LINKEN misst. Nein - nur an Ihren eigenen Ansprüchen
wollten wir messen: an bestehenden Rechtsvorschriften, an Pressemitteilungen
des Kultusministeriums und schließlich vor allem an dem Koalitionsvertrag.
Was steht im Koalitionsvertrag? "Wir werden in allen schulischen
Bildungsgängen die Grundlagen für den Umgang mit digitalen Medien legen und
kontinuierlich weiterentwickeln". Also fragten wir: Welche konkreten
Veränderungen plant die Staatsregierung? Die Antwort, recht kafkaesk: "Die
im Koalitionsvertrag festgelegten Ziele werden sukzessive und im vorgegebene
zeitlichen Rahmen umgesetzt". Ende. Das war die Antwort auf die Frage.
Wir fragten nach den Grundlagen der Arbeit: Welche Daten und Analysen über
die Fähigkeiten zur digitalen Kommunikation von Schülerinnen und Schülern
liegen der Staatsregierung vor? Antwort: Der Staatsregierung liegen hierzu
keine Daten und Analysen vor. Frage: Welche Daten und Analysen über die
Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern zum kritischen Umgang mit
Informationen im Netz liegen der Staatsregierung vor? Antwort: Der
Staatsregierung liegen hierzu keine Daten und Analysen vor. Welche Daten und
Analysen über die Fähigkeiten zur digitalen Kommunikation von Lehrkräften
liegen der Staatsregierung vor? Antwort: Der Staatsregierung liegen hierzu
keine Daten und Analysen vor. Welche Daten und Analysen über die Fähigkeiten
von Lehrkräften zum kritischen Umgang mit Informationen im Netz liegen der
Staatsregierung vor? Sie werden die Antwort sicher erraten.
Ich zitiere noch mal den Koalitionsvertrag: "Die in den Lehrplänen
verankerten Inhalte zur Medienerziehung werden wir in der schulischen Praxis
und in der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte verstärkt umsetzen". Auf die
Frage, wieviel Lehrkräfte denn an diesen Fortbildungen teilnehmen, kommt ein
interessantes Ergebnis: 2010 waren es noch knapp über 2.000, genau 2.024;
2012 noch 1.666, 2014 gerade noch 1.390. Und jetzt kommt's: 2015, also im
ersten Jahr der Umsetzung des Koalitionsvertrages sank die Zahl nochmal, auf
1.284. Die Zahl der Lehrkräfte, die sich auf diesem wichtigen Gebiet
fortbilden, ist also in den letzten fünf Jahren um ca. 40 % gesunken. Das
ist angesichts des Wortgeklingels einfach nur beschämend.
Sehr geehrte Damen und Herren, in ihrem Antrag steht mal so locker drin:
"Der Landtag stellt fest ..., im Freistaat Sachsen (stehen) ... zahlreiche
Angebote zur Stärkung der Medienkompetenz und Medienbildung von Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen zur Verfügung". Was sind "zahlreiche"? Nach
unserem Kenntnisstand und unseren Gesprächen mit den in diesem Bereich
Aktiven fehlt es an allen Ecken und Enden. Deshalb fragten wir nach,
wieviele Kinder und Jugendliche, respektive Schülerinnen und Schüler durch
die Angebote erreicht werden bzw. erreicht werden sollen. Was war die
Antwort? "Bei den .... durchgeführten Projekten... findet eine quantitative
Auswertung von Teilnehmerzahlen ... nicht statt". "Die Zusammenarbeit der
Schulen mit den Projektträgern und Anbietern kommt in der Regel ohne
Beteiligung der Schulaufsicht zustande. Zu deren Details werden zentral
keine Daten erfasst". "Es gibt keine zentralen Planungsvorgaben für den
Umfang der Beteiligung". Kurz zusammengefasst: Die Regierung weiß von
nichts. Und will auch nichts wissen. Das klingt ja auch alles ganz nett -
man mischt sich nicht ein und lässt vor Ort diejenigen machen, die etwas
machen wollen. Wo kein Ziel ist, kann man es auch nicht verfehlen.
Man darf sich dann nur nicht wundern, wenn nur ein kleiner Bruchteil der
Schülerinnen und Schüler erreicht wird und wenn das Geld vorn und hinten
nicht ausreicht. Landesweite Koordination wäre dringend vonnöten. Im
Koalitionsvertrag haben Sie versprochen: "Zur breitenwirksameren und
besseren öffentlichen Wahrnehmung der medienpädagogischen Initiativen und
Angebote in Sachsen sowie deren Vernetzung sollen nach dem Vorbild von
Sachsen-Anhalt eine zentrale Koordinations- und Informationsstelle
Medienbildung geschaffen werden". Der Zwischenbericht der Staatsregierung
dazu: "Momentan existiert die Koordinations- und Informationsstelle
Medienbildung noch nicht. ... Aussagen zu Definition der Aufgaben und der
personellen Ausstattung einer solchen Stelle sind daher noch nicht möglich".
Nicht sehr viel nach anderthalb Jahren Regierung.
Aber jetzt will ja die Koalition der Regierung Dampf machen. Nur: In Ihrem
Antrag ist von der Koordinationsstelle keine Rede mehr. Was denn nun? Wir
haben uns erlaubt, Ihnen an dieser Stelle mit einem Änderungsantrag ein
wenig Unterstützung zu gewähren.
Nochmal zum Geld: Wenn schon sonst keine Daten zur Verfügung stehen, kann
man ja den Umfang des Angebotes am eingesetzten Budget messen. Wir haben
auch mal gefragt, was denn an Landesmitteln in diesen Bereich fließt. Im
Wissenschaftsministerium waren es bis 2014 insgesamt 700.000 Euro pro Jahr,
2015 nur noch die knappe Hälfte, künftig gar nichts mehr. Im
Kultusministerium zwischen 500.000 und 625.000 Euro pro Jahr. Und im
Sozialministerium für die Jugendhilfe großzügig gerechnet in den letzten
Jahren 350.000 Euro pro Jahr. Für die Kinder und Jugendlichen alles in allem
knapp eine Million pro Jahr im Freistaat. Bei ca. 450.000 Schülerinnen und
Schülern, da habe ich jetzt frühkindliche Bildung noch gar nicht
mitgerechnet, etwas mehr als 2 Euro pro Schüler und Jahr. Und da sprechen
sie in Ihren Antrag von "zahlreichen Angeboten zur Stärkung der
Medienkompetenz und Medienbildung". Ich bitte Sie! Machen Sie sich doch
nicht lächerlich!
Apropos lächerlich: Den absoluten Clou auf diesem Gebiet lieferte die
Kultusministerin Brunhild Kurth. Am 24. März 2014, also vor über zwei
Jahren, im Landtagsvorwahlkampf, verkündete die Ministerin den Anbruch eines
neuen Zeitalters: Das Pilotprojekt "Klassenzimmer der Zukunft". "Hauptziel
des Projektes ist es, den Einsatz von Tablets in Schulen zu erproben und
wissenschaftlich zu begleiten und dabei gleichzeitig neue Lehr- und
Lernkonzepte für den Unterricht zu entwickeln". Und weiter: "Geplant ist,
dass ab dem Schuljahr 2015/2016 in Absprache mit den Schulträgern erste
Schulen mit Tablets und modernen Bildungstechnologien im Unterricht starten.
Parallel dazu wird ein nationales Expertengremium mit namhaften Vertretern
aus Wissenschaft, Schule, Kultusverwaltung und den kommunalen
Spitzenverbänden berufen. Das Gremium soll noch in diesem Jahr Empfehlungen
für innovatives Lehren und Lernen an Schulen in Sachsen vorlegen. Eine
derartige Expertise gibt es derzeit noch nicht in Deutschland und wäre damit
einzigartig". Breit wurde in Presse, Funk und Fernsehen darüber berichtet:
Sachsen - wie immer ganz vorn. Und da wollten wir doch mal wissen, wie viele
Schülerinnen und Schülern in Sachsen im Rahmen dieses Pilotprojekt an der
Spitze moderner Bildung zu marschieren. Wir waren, wie das so unsere Art ist
ein bisschen skeptisch und dachten: Es werden wohl wieder nur zehn Schulen
sein und dann vielleicht nur zwei Klassen pro Schule, wie das eben bei
Pilotprojekten immer so ist. Aber dann unsere Überraschung, was uns die
Ministerin im Frühjahr 2016, ziemlich genau zwei Jahre später antwortete:
Das Projekt befindet sich in der ersten Phase der Fortbildung und
Lehrkonzeptionserstellung, so dass derzeit noch keine Schulen in diese
Projektphase eingebunden sind. Über eine Einbindung von Schulen wird nach
erfolgreicher Evaluierung des bisherigen Projektverlaufes entschieden.
Lassen Sie sich diese Antwort einfach noch einmal auf der Zunge zergehen:
Das Projekt befindet sich in der ersten Phase der Fortbildung und
Lehrkonzeptionserstellung, so dass derzeit noch keine Schulen in diese
Projektphase eingebunden sind. Über eine Einbindung von Schulen wird nach
erfolgreicher Evaluierung des bisherigen Projektverlaufes entschieden. Ich
habe versucht, mir eine Evaluierung vorzustellen, bevor überhaupt auch nur
eine Schule beteiligt ist. Es ist mir nicht gelungen. Ich erwarte von der
Ministerin heute eine plastische Schilderung. Es ist ein Pilotprojekt im
Flugsimulator. Vielleicht versucht man auch gerade im Büro der Ministerin,
mit einem Tablet klarzukommen.
Sehr geehrte Damen und Herren, nun zu Ihrem Antrag: Der erste Punkt enthält
Banalitäten und Schönfärberei. Ja klar, junge Leute sind heute mehr im
Internet unterwegs, als dass sie fernsehen. Das ist seit vielen Jahren
bekannt und empirisch belegt. Wer Kinder hat, weiß das auch aus eigener
Erfahrung. Welchen Wert soll es haben, dies per Landtagsbeschluss
festzustellen? Und der letzte - von mir schon mehrfach zitierte - Satz "Der
Landtag stellt fest... , im Freistaat Sachsen (stehen) ... zahlreiche
Angebote zur Stärkung der Medienkompetenz und Medienbildung von Kindern
Jugendlichen und Erwachsenen zur Verfügung", ist, wie eingehend darlegt,
schlicht und einfach falsch. Ergo können wir dem Punkt 1 nicht zustimmen.
Die Aufträge an die Staatsregierung im zweiten Punkt sind angesichts der
vorhandenen Probleme sehr unkonkret und allgemein formuliert, aber sie gehen
zumindest in die richtige Richtung, dem werden wir zustimmen. Und die
vergessene Medienkoordinationsstelle würden wir, wie bereits gesagt, gern
ergänzen.
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