Orientierung

Donnerstag, 17. März 2016

DIE LINKE in der Flüchtlingsdebatte

Fabio di Masi (2. von rechts) am 03.02.2014 in Meißen /
Foto: Rode/ (Bitte hier anklicken)
Fabio de Masi (MdE): Angriff ist die beste Verteidigung!

Empfohlen von Heinz Hoffmann

In der Partei DIE LINKE gibt es nach den Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt eine Debatte darüber, welche Schlüsse man aus den Wahlergebnissen ziehen sollte. Fabio De Masi hat hierfür einen Beitrag verfasst.

Dies ist die Langfassung eines Beitrages, der am 17.03.2016 in der Tageszeitung junge Welt erschien.

DIE LINKE hat bei den Landtagswahlen eine schwere Niederlage erlitten. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stagnierte DIE LINKE, in Sachsen-Anhalt brach sie um über sieben Prozent im Vergleich zur letzten Landtagswahl ein und musste den Anspruch auf den Ministerpräsidenten aufgeben. DIE LINKE verlor dabei insbesondere in Sachsen-Anhalt massiv Wählerinnen und Wähler an die antisoziale und fremdenfeindliche „Alternative für Deutschland“ (AfD). Die AfD – kürzlich noch totgesagt – bestimmt nun die politische Debatte in Deutschland.


Die Aufgabe einer linken Partei ist es, die soziale Situation der Mehrheit der Bevölkerung einschließlich der Flüchtlinge zu verbessern. Mehrheiten gegen die CDU sind mit der AfD in den Parlamenten in Zukunft nicht mehr möglich. Wenn DIE LINKE geschwächt wird und die Lohn- und Rentenkürzer gestärkt werden, hat DIE LINKE versagt.


Es gibt drei Möglichkeiten auf das Debakel zu reagieren: Erstens, DIE LINKE hält an ihrer Strategie fest, weil die Wählerinnen und Wähler zu dumm sind, und versagt weiter. Zweitens, DIE LINKE hört auf, für die sozial Schwachen bzw. die Flüchtlinge zu kämpfen. Dann ist sie keine linke Partei mehr und mithin überflüssig. Drittens, DIE LINKE hält an ihren politischen Zielen fest, überdenkt aber ihre Strategie. Mir erscheint die letzte Variante die sinnvollste unter den drei Alternativen.
Diese Einsicht wird aber offenbar nicht uneingeschränkt geteilt. Die Parteivorsitzende Katja Kipping meinte nach dem Wahldebakel sinngemäß, es sei allen klar gewesen, dass wir Stimmen verlieren würden, der Kurs müsste aber fortgesetzt werden. Mit dieser Strategie hat sich die SPD des Status der Volkspartei beraubt und seither das Abo auf den Vize-Kanzler. Gregor Gysi hingegen sieht die Verantwortung für den Einbruch bei Sahra Wagenknecht, die Zweifel an der bisherigen Strategie geäußert hatte und die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der Flüchtlingsdebatte rückte. Ähnliche Stichworte gegegn Sahra Wagenknecht hatten die stets um unseren Wahlerfolg besorgten Grünen geliefert, deren Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer noch kürzlich die bewaffnete Grenzsicherung wie Beatrix von Storch (AfD) einforderte.  Gysi empfiehlt nun ein breites Bündnis der demokratischen Parteien und bringt auch Koalitionen mit der CDU ins Spiel. Es kann nur eines stimmen: Entweder unsere Strategie hat Stimmen gekostet oder Sahra Wagenknecht. Letzteres wage ich zu bezweifeln, da Sahra Wagenknecht gemeinhin enorme Zustimmung zu ihren Positionen in der Öffentlichkeit verzeichnet und im Übrigen auch nicht zur Wahl stand.
Personaldebatten sind überflüssig, wenn die Strategie nicht stimmt. Weder Wulf Gallert noch Bernd Riexinger tragen die Verantwortung für die Wahlergebnisse. DIE LINKE muss gemeinsam Verantwortung übernehmen. Es lohnt daher, zu diskutieren, wie DIE LINKE ihrer Pflicht zur Verbesserung der sozialen Situation der Schwächsten und somit auch der Flüchtlinge erfolgreich nachkommen kann:
Erstens: Es ist eine Katastrophe, dass Millionen Menschen durch Terror, Chaos und Krieg sowie wirtschaftliche Not ihre Heimat verlassen müssen. Es ist ein großes Glück, dass sich tausende Menschen in Deutschland für Flüchtlinge engagieren und das Staatsversagen auffangen. Dies rechtfertigt jedoch nicht, die Bundeskanzlerin aus der politischen Verantwortung für die Kumpanei mit Terrorpaten wie der türkischen Regierung und eine politische Lösung für Syrien zu entlassen. DIE LINKE muss deutlich machen: Wir sind gegen Waffenexporte, für Diplomatie statt Krieg und eine gerechte Handelspolitik und somit die Partei der Fluchtverhinderung.
Zweitens: in einer Umfrage äußerten 81 Prozent der Befragten die Auffassung, die Bundesregierung habe die Situation nicht im Griff. Die eigentliche Aufgabe steht uns noch bevor, weil viele Flüchtlinge bleiben werden. Sie brauchen dauerhaften Wohnraum und Arbeit, Kinder müssen in Kindergärten und Schulen, in Sportvereine, vor allem Freunde finden und Deutsch lernen. Dies gelingt nur mit einer kleinräumigen Unterbringung der Flüchtlinge und mit Unterstützung der Bevölkerung. Die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung sinkt jedoch, wenn Mieten steigen, Löhne sinken und Integration misslingt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert daher ein Investitionsprogramm und lehnt die Ausbeutung von Flüchtlingen über Zeitarbeit und Ausnahmen vom Mindestlohn ab. Deutschland hat fiskalischen Spielraum für ein Investitionsprogramm und es ist verrückt, bei Nullzinsen nicht zu investieren. Wenn ausgerechnet die Flüchtlinge der Anlass für ein Investitionsprogramm wären, würde dies den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Selbst die deutschen Wirtschaftsweisen forderten 2007 eine „goldene Investitionsregel, um öffentliche Investitionen, die Vermögen und Einkommen für zukünftige Generationen schaffen, von der dummen Schuldenbremse bzw. dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, auszunehmen. Der DGB wendet sich somit gegen die Politik der Kanzlerin. Auch DIE LINKE muss die Kanzlerin angreifen: Wir wollen investieren, Löhne, Mieten und Sozialstaat verteidigen und das Staatsversagen beenden.
Drittens: die oberen zehn Prozent in Deutschland besitzen über zwei Drittel des Nettovermögens (Vermögen abzüglich Schulden). Die Mehrheit der Bevölkerung kann rechnen: Wenn mehr Menschen in Deutschland leben, es aber keinen Cent mehr für Länder und Kommunen gibt, bedeutet dies Sozialabbau. Die Vermögenden haben jedoch prächtig an Euro- und Bankenrettung, an Niedriglöhnen und auch am Geschäft mit Waffen und Krieg verdient. Die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik sind vergleichbar mit der Wiedervereinigung. Und nach dem 2. Weltkrieg gab es in Deutschland einen Lastenausgleich über Abgaben auf hohe Vermögen. DIE LINKE muss daher deutlich machen: Die Reichen müssen den Tisch für die Flüchtlinge decken. Die Quandts, Piëchs und Klattens schaffen das. Für eine Vermögenssteuer sowie eine Vermögensabgabe. Das ist unser Flüchtlingssoli
Viertens: Mit diesen Maßnahmen ließe sich die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung erhöhen. Allerdings löst Geld nicht alle Probleme. DIE LINKE hat sich bisher gegen die Residenzpflicht und für legale Fluchtrouten (auch etwa über vorgelagerte Asylverfahren in Botschaften) ausgesprochen. Wenn Flüchtlinge Deutschland endlich sicher erreichen und ihren Wohnort frei wählen können, werden viele zu Recht dort hingehen, wo sie soziale Beziehungen, Jobchancen und eine soziale Infrastruktur vermuten. Es braucht aber Zeit bis neue Wohnungen in Ballungsgebieten gebaut, Leerstand beschlagnahmt oder Lehrer eingestellt wurden, die hinreichend qualifiziert sind auf die Bedürfnisse der Flüchtlingskinder einzugehen.
Es gibt somit reale Probleme und Überforderung - auch in einem reichen Land wie Deutschland. Die Politik kann die Fähigkeit, Menschen gut zu integrieren aber beeinflussen. DIE LINKE (und auch Sahra Wagenknecht) lehnt willkürliche Obergrenzen ab, weil wir die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung entlassen wollen dafür, dass sie mit ihrer Außen- und Handelspolitik weiter Fluchtursachen anheizt, dass sie eine internationale Lösung herbei führt und dass sie die sozialen Voraussetzungen für Integration schafft. Ein Flüchtling, der Englisch oder Französisch spricht, hat jedoch bessere Chancen, sich in Großbritannien oder Frankreich ein neues Leben aufzubauen. Es wollen auch gar nicht alle Flüchtlinge nach Deutschland und einige reisen angesichts der Zustände in Europa sogar zurück in ihre Länder. Daher hat Sahra Wagenknecht eine Selbstverständlichkeit formuliert: Dass alle Flüchtlinge, die nach Europa kommen, in Deutschland bleiben, ist weder sinnvoll noch realistisch.
Die Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen zu öffnen war ohne Zweifel richtig. Die deutsche Machtpolitik in der EU rächt sich aber, weil viele Regierungen durch die Schließung der Grenzen die Kanzlerin schwächen wollen und Verantwortung für Entscheidungen Deutschlands ablehnen. Die humanitäre Katastrophe im Camp von Idomeni (Griechenland) und auch im Libanon oder Jordanien verdeutlicht: Kein Land kann die Flüchtlingskrise alleine bewältigen. Ein reiches Land wie Deutschland kann sicher mehr leisten und muss den humanitären Notstand beenden. Wenn dies stimmt,  gilt dies aber auch für andere reiche Länder, die an der Flüchtlingskrise erhebliche Verantwortung tragen. Wenn die USA weniger Syrer aufnehmen als ein bayerischer Landkreis, ist dies verantwortungslos. Wenn führende Politiker der LINKEN vor nationalen Alleingängen warnen und das Prinzip der europäischen und internationalen Zusammenarbeit einfordern, sollte dies gerade für die Flüchtlingspolitik gelten. Dies bedeutet dann aber auch, Flüchtlinge gemäß ihrer familiären Bindungen und Präferenzen in der EU zu verteilen und damit Zuwanderung  zu steuern, um Integration zu planen.
Auch im Hinblick auf die Freizügigkeit innerhalb der EU gilt: Staaten behalten sich Eingriffe etwa beim universellen Recht auf Zugang zu Sozialleistungen vor, weil diese durch Steuern und Abgaben bzw. durch Arbeit finanziert werden. Freizügigkeit kann daher den Sozialstaat unter Druck setzen, wenn sie nicht durch die Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt wird. Bei vielen Flüchtlingen ist dies wegen der Anerkennung von Berufsabschlüssen, Sprachbarrieren etc. jedoch nicht von heute auf morgen möglich. Daher ist eine Verteilung von Flüchtlingen auf EU-Mitgliedstaaten mit Eingriffen in die Freizügigkeit verbunden.
DIE LINKE muss deutlich machen: Wir brauchen eine europäische und internationale Lösung der Flüchtlingskrise. Reiche Staaten und syrische Kriegsparteien wie die USA müssen mehr Flüchtlinge aufnehmen bzw. einen finanziellen Beitrag zur Verbesserung der humanitären Situation in den Nachbarstaaten Syriens leisten und eine politische Lösung des Konflikts ermöglichen. Die 6 Mrd. Euro „Schutzgeld“ für die Türkei wären dort besser investiert.
Fünftens: nicht alle Wähler, die rassistische Parteien wählen, sind Rassisten und nicht alle rassistischen Wähler wählen rassistische Parteien. Auf der Straße hört man Dinge wie: „Ich habe nichts gegen Flüchtlinge. Aber nie ist Geld für uns da, aber für die Flüchtlinge geht das!“ DIE LINKE muss deutlich machen: Die AfD ist keine Alternative für Deutschland. Die AfD  verspricht Schutz vor Zuwanderung und Flüchtlingen. Aber auch ohne einen einzigen Zuwanderer bzw. mit der AfD würde es den kleinen Leuten schlechter gehen. Denn die AFD will Ihnen ins Portemonnaie fassen. Später in die Rente. Sie will keinen Mindestlohn, keine Erbschaftssteuer und keinen Cent mehr für die Kommunen. Das ist ihr Programm. Angriff ist daher die beste Verteidigung.
Es ist daher Aufgabe des Parteivorstands, eine Debatte über unsere Strategie – etwa auf dem nächsten  Parteitag der LINKEN – zu ermöglichen. Wenn wir nicht erneut den Fehler machen, uns bei der Bundeskanzlerin unterzuhaken, werden wir von den Wählern auch nicht für den berechtigten Unmut über die Bundesregierung verhaftet. Wenn wir auf sozialen Angriff statt auf Verteidigung spielen, werden wir die AfD schwächen und im Osten wie Westen Wahlen gewinnen. Wir schaffen das.
Fabio De Masi ist Europaabgeordneter der Partei DIE LINKE.

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