Orientierung

Freitag, 25. Mai 2012

Jüdisches Leben in Meißen - 'solid auf den Spuren verfolgter Menschen


Jugend macht Programm im Haus für Viele(s)
von Reinhard Heinrich
(Text und Fotos)

Volles Haus für Viele(s) in Meissen
Eine kleine Sensation erlebte Meissen am Montag im Haus für Viele(s), wo im Beisein des stellvertretenden Botschafter der Republik Israel engagierte junge Leute Forschungsergebnisse aus ihrer Projektarbeit vorstellten. Die Präsentation war geradezu professionell vorbereitet, gelegentliche kleine Unsicherheiten in der Darbietung waren lediglich der unerwartet hohen Anzahl der Zuhörer zuzuschreiben. Denn bis zur letzte Reihe voll besetzt war der Saal, selbst eingelagerte Gartensessel wurden hinzu genommen. Interessierte aus Radebeul, Riesa, Grossenhain, Coswig - und selbstverständlich Meissen - waren gekommen, um sich dem oft abseits öffentlicher Aufmerksamkeit liegenden Thema anzunähern.
Ursula Rien (r.) erinnert sich.
Der Weg nach Meissen hat sich gelohnt. Die jungen Leute haben deutlich mehr gemacht, als nur ihre Hausaufgaben. Neben der Einordnung konkreter Spuren in übergreifende historische Prozesse wenden sie sich immer wieder dem konkreten Einzelschicksal zu. Mit Strasse und Hausnummer, Berufsstand und gesellschaftlicher Stellung werden unterschiedlichste Menschen vorgestellt, die ganz normal zu der Stadt gehörten, die, wie alle deutschen Städte, am Ende als "judenfrei" gemeldet wurde. Emigration, Deportation, Vernichtung - das ganze Spektrum menschlicher Schicksale spiegelt sich in diesen Beispielen. Und so ist es bestimmt kein Zufall, dass eine heute über 90jährige Emigrantin, die, als Nonne verkleidet, 1938 gerade noch einen Kindertransport nach England begleiten konnte, ihr Elternhaus in Meissen noch einmal sehen möchte. Dass heutige Jungendliche, gerade so alt, wie sie selbst damals war, das Andenken ihrer ermordeten Eltern wach halten, gibt ihr den Mut, noch einmal die Stadt zu besuchen. Ihre Kinder und Enkel in Israel blicken unterdessen mit Spannung auf die - noch ungetroffene - Entscheidung der Stadtväter und -mütter für einen "Stein des Anstosses" im Pflaster vor dem Haus.
Das Publikum folgte aufmerksam und reagierte auch vernehmbar, wenn persönliche Erinnerungen berührt wurden. Die Erwähnung eines jüdischen Kaufhauses in Meissen löste die spontane Äusserung aus: "... und schöne Sachen gab es da zu kaufen." Kindheitserinnerungen an ein Meissen, in dem jüdische Kaufleute noch dazu gehörten - und ihre Besonderheit die Gesellschaft reicher machte.

Des stellvertretenden Botschafters Verdienst besteht wohl vor allem darin, den Jugendlichen wie den Veranstaltern durch sein Kommen grosse Wertschätzung erwiesen zu haben. Er machte darauf aufmerksam: Rechte Gewalt, NSU und NPD sind deutsche Probleme und keine israelischen. Und er weiss sichtlich zu schätzen, und ausdrücklich auch für den Staat, den er vertritt, dass junge Leute ihre Kraft in konkrete Geschichtsaufarbeitung investieren.

Pfarrer i. R. Jürgen Günter im Gespräch mit Andreas Graff
Die Leistung der 'solid-Jugendlichen verdient jede Anerkennung, ist jedoch schwer denkbar ohne den Beistand der Älteren. Stadthistoriker Herr Steinecke und Pfarrer i.R. Jürgen Günter waren und sind solche Tür- und  Gedankenöffner, ohne die es vielleicht an manchem Punkt der Forschung nicht weiter gegangen wäre.

Und dann gibt es im "Haus für Viele(s)" noch jemanden, schon lange weiss: Die Herzen der Menschen gewinnt man nicht mit Parteiveranstaltungen. Er hat ermutigt und behutsam gefördert. Und die Hand darüber gehalten, dass die immer noch lebendige "Banalität des Bösen", wie Hanna Ahrendt die deutsche Triebkraft der Shoah bezeichnete, dem Projekt nicht nahe genug kam, um ihm zu schaden.

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