Orientierung

Montag, 4. Mai 2020

Das zerbrochene Alte reparieren?

Besser neu anfangen!

Von Rico Gebhardt, 
22. April 2020

Das Corona-Virus hat unser aller Leben verändert. Natürlich. Niemand kann von sich behaupten, ihn würde es nicht in irgendeiner Weise treffen. Corona bringt uns an unsere Grenzen. Den einen mehr, die andere weniger. Es bringt auch unsere Gesellschaft an ihre Grenzen. Vieles, was bisher unumstößlich schien, wird nun doch hinterfragt. Das ist richtig und notwendig. Wenn Angst und Hoffnung wie kaum zuvor Hand in Hand gehen, ist es berechtigt zu fragen: War und sind die Entscheidungen der letzten Jahre, gar Jahrzehnte, die in der Politik getroffen wurden und für die nächsten Jahre und Jahrzehnte getroffen werden, die richtigen?

Selbstverständlich war es richtig, zuweilen auch drastische Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus zu ergreifen. Selbstverständlich ist es in der Abwägung akzeptabel, für einen sehr eng begrenzten Zeitraum individuelle Freiheitsrechte einzuschränken – ja auszusetzen. Regierungen und Parlamente handeln und entscheiden in nie dagewesener Geschwindigkeit. Vieles wurde und wird getan, um die Auswirkungen, die mit der CORONA-Pandemie einhergehen, zu mildern.

Dennoch: Diejenigen, die auch sonst finanzielle Sorgen haben, haben diese jetzt umso mehr. Für viele geht es schlichtweg ums Überleben im Alltag. Und das in einem Land, das zu den größten Wirtschaftsmächten der Welt zählt. Es sind Probleme, die es nicht erst seit Corona gibt. Jetzt könnte man also sehr leicht aus der Oppositionsrolle heraus mitteilen, dass alles großer Mist ist und predigen, dass wir es schon immer wussten und schon immer gesagt haben. So leicht ist es aber nicht, denn es ist wesentlich komplexer.

Ist es nicht auch Aufgabe der LINKEN, neben dem Feststellen von Missständen und der harten Kritik daran positive und zukunftsgewandte Ideen abzuleiten? Perspektiven zu eröffnen – denn immerhin, krisenerprobt ist DIE LINKE ja selbst. Gerechtigkeit und Solidarität für alle kann nur unsere Devise sein.



Wir haben das Gemeinwohl im Blick. Wir wollen niemanden zurücklassen.

Vieles ist aktuell möglich: Staatliche Interventionen in die Wirtschaft, Eingriffe in die Gesellschaft innerhalb von Tagen. Es gibt nun keine Erklärung mehr dafür, warum Politik nicht handlungsfähig sei, zum Beispiel bei der Durchsetzung von schärferen Grenzwerten für Gifte, bei Maßnahmen gegen Pestizide, gegen industrielle Tierquälerei, gegen Lärm, gegen schlechte Luft und schlechtes Essen. Es besteht also die Chance, Grundsätzliches zu verändern, die wir als LINKE nicht verstreichen lassen dürfen. Ich möchte das an drei Politikbereichen festmachen.

Bildung für alle digitalisieren

Wie sehr das gesamtdeutsche, aber auch das sächsische Bildungssystem hinterherhinkt, welche Fehlentscheidungen in den letzten Jahren getroffen worden sind, zeigt sich jetzt besonders. Nicht nur das, denn das Hinterherhinken hat zur Folge, dass sich im Moment Ungerechtigkeit und soziales

Ungleichgewicht besonders offenbaren. Familien müssen ihr Zusammenleben auf teilweise engstem
Raum organisieren. Stress, der auch sonst schon existiert, ist vorprogrammiert. Die Debatte, ob wir die nächsten Sommerferien streichen, ist angesichts der Belastung der letzten Wochen völlig absurd.

Natürlich macht es einen Unterschied, ob eine Familie mit zwei Kindern auf 65 Quadratmetern
klarkommen muss oder ob sie doppelt so viel Raum zur Verfügung hat. Freilich macht es einen Unterschied, ob sich Geschwister ein Zimmer teilen müssen oder jedes Kind einen eigenen
Rückzugsraum hat. Und es macht eben auch einen Unterschied, ob die Kinder ihre Aufgaben am
Wohnzimmertisch oder aber an einem eigenen Schreibtisch erledigen können. Das ist schon in
„normalen“ Zeiten ein Problem, wird aber jetzt zu einem kaum zu bewältigendem Alltags-Konflikt. Von einem vorhandenen Internetzugang, Computer oder gar Drucker ganz zu schweigen. Viele Familien können es sich schlicht nicht leisten. Deshalb ist es Aufgabe des Staates, zu ermöglichen, dass alle Kinder die gleichen Chancen und Vorrausetzungen zum Lernen haben. Heißt, jedem Schulkind sollte entweder ein Laptop oder ein Tablet zur Verfügung gestellt werden. Nur so ist gewährleistet, dass auch alle Kinder den gleichen Zugang zu Lerninhalten etc. haben. Das bedeutet ebenso, dass jede Familie einen Internetzugang benötigt, egal ob sie in der Stadt oder auf einem kleinen Dorf lebt. Der Zugang zum Internet ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Hier muss grundsätzlich umgedacht und geklärt werden, wie wir zu neuen Standards in der Digitalisierung von Bildung kommen. Dabei sind Laptops und Internetzugang nur ein Teil des zu lösenden Problems. Auch der richtige Umgang mit den Geräten und den digitalen Lerninhalten ist
entscheidend. Dafür benötigen Lehrerkräfte regelmäßige Schulungen und Weiterbildungen. Denn nichts ist so schnelllebig wie die digitale Welt.

Parallel dazu drängen sich noch viele weitere Fragen auf, die es zu klären gilt: Wie finden Schüler*innen und Lehrerkräfte grundsätzlich zurück in den Schulalltag? Wie kann nicht nur jetzt, sondern auch zukünftig besser psychologische Hilfe geleistet werden, sowohl für Lehrkräfte als auch für Schulkinder? In welcher Form sollte zukünftig unterrichtet werden? Aus Gründen der sozialen Distanz und von Hygienevorschriften sollen jetzt kleine Lerngruppen gebildet werden. Diese Strukturveränderung muss auch später weiter gelten. Kleine Klassen, neue Lerngruppen ist das Ziel.

Und muss nicht spätestens jetzt jedem und jeder klar sein, dass zum Abbau von Ungleichbehandlung
das Schulessen jedem Kind kostenfrei zur Verfügung stehen sollte? Gerade jetzt ist klar: Wir brauchen Schulgebäude, die eine Beschulung außerhalb von Klassenverbünden und -räumen ermöglichen, flexibel gestaltbar sind und offene Denkräume bzw. offene Lernlandschaften schaffen. Kreative Köpfe brauchen kreative Methoden.

Gesundheit für alle gibt es nur, wenn alle mitmachen

Die Sorge um die Gesundheit wird zu einem dominanten Element der modernen Gesellschaft werden. Auch wenn wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gut dastehen, so spürt auch und insbesondere unser Gesundheitssystem diese Krise sehr deutlich. Und wenn wir eines jetzt lernen, dann dass zum einen die vielfältige Privatisierung das Gesundheitssystem sehr anfällig für Krisensituationen macht und zum anderen, dass sich Gesundheit weder rechnen muss noch rechnen darf. Sie ist genauso wie Bildung Teil der Daseinsvorsorge und gehört in öffentliche Hand. Profit ist an der Stelle der völlig falsche Ansatz. Gesundheit darf kein Luxus sein.

In den letzten Jahren wurde viel kaputtgespart – ökonomisiert –, was in einer Krise wie der jetzigen nur schwer zu reparieren ist. Änderungen sind hier kurzfristig, mittelfristig und langfristig geboten. Es geht um ein völlig anderes und neu strukturiertes Gesundheitswesen, in dem niemand hinten runterfällt. Wie kommen wir also dahin, dieses Schritt für Schritt umzusetzen?

Allen muss spätestens jetzt klar sein, es geht nicht darum, mit Flugzeugen, Panzern oder anderem Kriegsgerät nationale Grenzen zu verteidigen. Der Feind Corona ist unsichtbar. Wenn es denn um Verteidigung geht, dann um die Verteidigung der Gesundheit der Menschen. Kein Militär dieser Welt schützt die Bevölkerung vor Krankheiten. Deswegen brauchen wir eine öffentliches, landesweites Gesundheitssystem, welches auskömmlich vom Staat und den Bürger*innen gemeinsam solidarisch finanziert wird und in dem alle gleichbehandelt werden.

Der Wohlstand einer modernen Gesellschaft hängt nicht nur vom Stahlwerker, dem Autobauer oder dem IT-Spezialisten ab. Es sind gerade Ärzte, Pfleger, Krankenschwester, die dafür sorgen, dass wir gesund unseren Tätigkeiten nachgehen können. Es braucht also Krankenschwestern und -pfleger, Ärzte und viele mehr in diesem Sektor, die ordentlich ausgebildet und gut bezahlt werden. Natürlich braucht es eine höhere Tarifbindung und eine ausreichende Ausstattung mit medizinischen Produkten und Materialien. Eine Krankenkasse für alle kann nur das Ziel einer LINKEN sein.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss personell und finanziell besser ausgestattet werden. Wir
brauchen in Sachsen einen Landesgesundheitsdienst, welcher den Bedarf hinsichtlich der medizinischen Versorgung erfasst und eine Koordinierungsfunktion übernimmt. Es wird gerade jetzt deutlich, welchen Mangel es dazu in Sachsen gibt. Zusammen mit den Vertreter*innen der Selbstverwaltung im Gesundheitsdienst kann ein Landesgesundheitsdienst die medizinische Versorgung im Freistaat verbessern. Es geht da vor allem um Maßnahmen der Prävention. Doch ist eines sicher, nichts davon kann herbeigezaubert werden. Nichts davon ändert sich morgen. Aber es müssen jetzt Weichen gestellt werden, damit diese Neuorganisation im Gesundheitssystem funktioniert.

Regionalere Wirtschaft mit guten Löhnen hilft allen

Wenn es um Neuorganisation geht, muss das auch unbedingt für die Wirtschaft gelten. Sozial-ökologisch muss diese sein. Dabei ist die Solidarität mit den Schwächsten der Gesellschaft das oberste Gebot. Und während und nach dieser Krise mit denjenigen, die am stärksten betroffen sind. Mit denjenigen, die sonst kaum wahrgenommen werden und dennoch den Laden am Laufen halten. Das geht vom Laden mit den „Waren des täglichen Bedarfs“ bis hin zu den Kulturschaffenden. Nur weil jetzt kleinere Geschäfte wieder öffnen dürfen, heißt das nicht, dass sie es grundsätzlich schaffen.

Solidarität braucht es mit den Kleinstunternehmer*innen und Soloselbstständigen, die gerade um ihre
blanke Existenz kämpfen. Die wenigsten waren in der Lage, irgendwelche Rücklagen zu bilden. Durch das Wegbrechen der Aufträge stehen viele ganz schnell vor dem Nichts. Für viele Betroffene ist das die nächste bittere Erfahrung in den letzten drei Jahrzehnten. Und Sofortprogramme sowie unbürokratische Liquiditätshilfen können über das Gefühl der Unsicherheit nicht hinwegtäuschen. Denn niemand weiß, wie lange die Situation, wie sie jetzt ist, andauert. Deshalb müssen wir besonders aufpassen, dass uns die „Kleinen“ nicht wegbrechen. Sind nicht sie es, die das Bild der sächsischen Wirtschaftslandschaft ausmachen? Deshalb können Kredite nur eine letzte Maßnahme sein, denn kaum einer von denen kann sie jemals zurückzahlen. Regionale Wirtschaftskreisläufe müssen mehr denn je in den Fokus genommen werden. Die Cluster-Bildung der regionalen Wirtschaft und die bessere Verknüpfung von Betrieben mit Forschungseinrichtungen ist eine Möglichkeit, sich unabhängiger zu machen. Es ist aber auch eine Facette dieses kreativen, konstruktiven Zusammenhalts innerhalb der Gesellschaft, den man fördern muss. Die Bevorzugung des Lokalen vor dem Internationalen ist nicht nationalistisch, sondern ein Wir brauchen einen Ausbau von Förder- und Hilfsprogrammen, so zum Beispiel die Weiterentwicklung des Förderprogramms „Vitale Dorfkerne und Ortszentren im ländlichen Raum“ zu „Dorfläden in Sachsen“. Es geht um die Unterstützung regionaler Produkte auf unterschiedlichsten innovativen Wegen.

Gerade in diesen Zeiten sind die Vergesellschaftung und die Übernahme von unternehmerischem Eigentum eine zukunftsorientierte Aufgabe. Gerade jetzt sollte Wirtschaftsförderung nicht auf Wachstum setzen, sondern grundsätzlich auf ökologisch und nachhaltiges Arbeiten. Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen sollte ebenfalls an diese und an soziale Kriterien gebunden sein.

Entscheidend ist, dass wir als LINKE, aber auch die Gesellschaft als Ganzes sowohl aus den guten als auch aus den schlechten Erfahrungen in der CORONA-Krise lernen müssen. Und das sehr schnell.

Deswegen muss sich DIE LINKE auch jetzt mit ihren Ideen eines anderen Gesellschaftsansatzes Gehör verschaffen. Es braucht Debatte. Es braucht Mut für Änderung, aber keine Angst vor Veränderungen, denn die schüren andere. Es geht auch um Anerkennung und Wertschätzung. Mit unserem Vorschlag zum Beispiel einer Sachseninitiative gegenüber der Bundesregierung und im Bundesrat wollen wir genau das für ganz bestimme Menschen erreichen. Es ist eine Initiative für einen von der Allgemeinheit bezahlten Urlaub von mindestens zehn Arbeitstagen für all diejenigen, die in ihrem Tätigkeitsbereich in der Zeit der Coronavirus-Pandemie intensiven Kontakt mit Menschen pflegen mussten. Es soll Anerkennung und Dank der Gesellschaft für außerordentliches Engagement sein. Aber Anerkennung und Dank muss sich langfristig niederschlagen.

Es ist Zeit für Veränderungen. Es gibt ein Zeitfenster. So schnell es sich geöffnet hat, wird es sich auch wieder schließen. Schnell und unerbittlich. Lasst uns also die Chance zur Debatte und Veränderung nutzen. Jetzt!

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