Orientierung

Dienstag, 23. Dezember 2014

Warum äußert sich die PEGIDA-Führung nicht offen zu ihren wahren Zielen? Hat sie etwa keine?

Ramelow nicht verwundert über «Pegida»-Zulauf
Erfurt/Dresden (dpa) - Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist nicht erstaunt über den Zulauf bei den islamkritischen «Pegida»-Demonstrationen in Dresden. Er gehe von einem «seltsamen Klima» in der sächsischen Landeshauptstadt aus, sagte er in einem MDR-Info-Interview. Dort bekämen es eher jene mit der Justiz zu tun, die gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen. 2010 hätten Zehntausende von Bürgern gezeigt, dass sie Dresden nicht den Nazis überlassen wollten. «Und als Dankeschön wurden viele Demonstranten mit Anklagen überzogen», sagte Ramelow. Auch gegen ihn laufe noch eine Anklage. Er bestehe jedoch darauf, dass das Verfahren geführt werde.
Am Montagabend stellten sich in Dresden rund 4500 Demonstranten gegen den Protest der «Pegida»-Bewegung. Rund 17 500 Teilnehmer kamen zu der islamkritischen Demonstration. Eine Woche zuvor waren es 2500 weniger.

Gebhardt schließt Dialog mit PEGIDA-Führung aus
Die Erfahrung von Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der LINKEN ist, dass PEGIDA zum Sammelbecken ganz verschiedene Probleme geworden ist. Deshalb setze die LINKE auf einen Dialog mit den Menschen vor Ort. "Also wenn der Arzt Sorgen hat, weil jetzt auch noch Flüchtlinge zu ihm kommen und er jetzt schon allein ist und es fast nicht schafft, wenn die Kindergärtnerin neue Kinder aufnehmen muss in dem Fall von Flüchtlingsfamilien, obwohl sie schon einen hohen Betreuungsschlüssel hat und die Integration schwierig ist dann ist das eine Verantwortung der Politik. Und die müssen wir ernst nehmen, weil: das kann die sächsische Politik auch ändern." Einen Dialog mit den PEGIDA-Organisatoren schließt Gebhardt für die LINKE aus.
Sächsische Zeitung

DDR-Oppositionelle über Pegida: „Jesus hätte gekotzt“
Einstige DDR-Bürgerrechtler wenden sich gegen die „Wir sind dasVolk!“-Attitüde der Rechtspopulisten. Sie wollen Widerstand gegen sieanregen.

BERLIN taz | „Bürgerrechtler, warum schweigt ihr?“ war kürzlich ein Textin der Wochenzeitung Die Zeit überschrieben. Die Redaktion wolltewissen, wo in Zeiten von Pegida der Mut derer geblieben ist, die 1989für Demokratie und Freiheit auf die Straße gegangen waren. „Warumschweigt Ihr, wenn das Ressentiment marschiert, wenn Rechtspopulistengegen Einwanderung hetzen, Flüchtlinge zur Gefahr erklären und sicherdreisten, das Ganze ,Montagsdemonstration‘ zu nennen?“, fragt die Zeit.
Nun antworten die Bürgerrechtler. In dem Text „Weihnachtsgruß vonNeunundachtzigern“ (s.u.), der der taz vorliegt, rufen drei derwichtigsten Protagonisten der Wendezeit zum Protest gegen Pegida auf. Inrecht deftiger Sprache verwahren sich Reinhard Schult, Thomas Klein undBernd Gehrke dagegen, dass die Ideen der friedlichen Revolution vonIslamhassern, Fremdenfeinden und Flüchtlingsgegnern missbraucht werden.

„Jesus hätte gekotzt, hätte er euch getroffen“, lautet eine Zeile des
zehnstrophigen Textes. Und weiter: „Wir sind das Volk, ruft ihr.
Freiheit, Toleranz, weltoffen meinte das ’89. Visafrei bis Hawaii, war
die Devise. Und: die Mauer muss weg. // Ihr aber wollt: Visafrei nur für
uns. Die Mauer muss weg nur für uns. Die Mauer muss her am Mittelmeer –
25 Jahre nach dem Mauerfall.“

Die drei Initiatoren haben damals selbst viel riskiert. Der Ökonom Bernd
Gehrke etwa war 1978 wegen „staatsfeindlicher Gruppenbildung“ aus der
SED ausgeschlossen und mit Berufsverbot belegt worden; er war später
Mitbegründer des Robert-Havemann-Kreises und der Grünen Liga.

Der Historiker Thomas Klein stand in der DDR unter Publikationsverbot;
Mitte der Achtzigerjahre gründete er mit anderen Oppositionellen die
„Gruppe Gegenstimmen“. Und Reinhard Schult gilt als einer der
wichtigsten Protagonisten der DDR-Opposition in den Achtzigern. 1989 war
er – unter anderen gemeinsam mit der Malerin Bärbel Bohley –
Gründungsmitglied des Neues Forum.
„Schämt euch“

Im Januar 1990 rief Schult mit dem Neuen Forum zu einer folgenreichen
Demonstration vor der Berliner Stasi-Zentrale auf. Die anschließende
Besetzung führte dazu, dass die Archive der Staatssicherheit bewahrt und
später öffentlich zugänglich gemacht wurden. In diesem Jahr wurde ihm
das Bundesverdienstkreuz verliehen.

In ihrem gemeinsamen Text begeben sich Schult, Gehrke und Klein in
direkten Widerspruch zu den Dresdner Pegida-Organisatoren: „Ihr sprecht
nicht für ’89. Ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung. Ihr seid deren
Schande. Schämt euch.“

Der gemeinsame Text, schreibt Reinhard Schult, soll gerade „nicht das
Gespräch mit den Pegida-Demonstrant/innen suchen, sondern den Widerstand
gegen sie ermuntern“. Man lege keinen Wert auf lange Erörterungen
komplexer Probleme und deren politischer Ursachen, „sondern macht Front
gegen die sich neu formierende rechtspopulistische Bewegung a la Front
National. Deshalb ist er provozierend und frech gehalten.“

Auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich zu Wort
gemeldet. Wie schon nach dem Anschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge im
Jahr 2000 forderte Schröder einen neuen „Aufstand der Anständigen“. „In
Berlin haben damals 200.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und
Antisemitismus protestiert, und selbstverständlich sind Bundespräsident
und Bundeskanzler vorneweg marschiert. So eine öffentliche Reaktion
brauchen wir auch jetzt“, sagte Schröder dem sächsischen Magazin Couragiert.
Originaltext der Bürgerrechtler:

„Weihnachtsgruß von Neunundachtzigern“ 25 Jahre nach dem Mauerfall
PEGIDA – Nie wieda!

Wir sind das Volk ruft ihr
Freiheit Toleranz Welt offen meinte das '89
Visa frei bis Hawai war die Devise
Und: Die Mauer muss weg
Ihr aber wollt:
Visa frei nur für uns
Die Mauer muss weg nur für uns
Die Mauer muss her am Mittelmeer
25 Jahre nach Mauerfall
Zusehen wollt ihr wenn die Elenden
Der Welt an neuen Mauern sterben
An euren Mauern
Oder ihr dreht euch weg
Um in Ruhe Gänsebraten zu fressen
Und Weihnachtslieder zu singen
Jesus hätte gekotzt hätte er euch getroffen
Habt ihr euch nie gefragt:
Wer liefert die Waffen für die Bürgerkriege die die Menschen vertreiben
Wer hat der Welt den Neoliberalismus aufgezwungen
Der sie in Ungleichheit Armut Not treibt
Bei uns und im Süden der Erde
Und wer hat die Klimakatastrophen produziert
Die den Sahel zur Hölle machen
Dabei pfeifen die Spatzen von den Dächern:
Es ist das System das ihr nicht schnell genug bekommen konntet
Dem ihr den '89er Versuch geopfert habt
Den Versuch einer alternativen Demokratie
Einer freiheitlichen solidarischen ökologischen

Doch ihr sprecht nicht über dieses System
Über Kapitalismus seine Gemeinheiten über Interessen
Dafür protestiert ihr gegen die Schwachen
An die Mächtigen traut ihr euch nicht heran

Feiglinge

In Sachsen sind Muslime nur mit der Lupe zu finden
Aber ihr bekämpft die Islamisierung des Abendlands
Euer Abendland heißt Dunkeldeutschland
Ihr riecht nach dem Provinzmief hinter der Mauer
Oder dem in den Tälern der Alpen

Ihr sprecht nicht für '89
Ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung
Ihr seid deren Schande
Schämt euch

Auf euer Abendland haben wir '89 gepfiffen
Darauf pfeifen wir auch heute
Unsere Solidarität den Flüchtlingen

Und immer noch sagen wir
Eine andere Welt ist möglich
Eine andere Welt ist nötig
Um alle Mauern zu stürzen

Weihnachten 2014
Die Unterzeichner:

Kerstin Ahrens (1989 Kirche von Unten), Silke Ahrens (1989 Kirche von
Unten, Offene Arbeit), Susan Arndt (1989 Neues Forum/Student/innenrat HU
Berlin), Judith Braband (VL/Zentraler Runder Tisch/Kuratorium Haus der
Demokratie und Menschenrechte Berlin), Malte Daniliuk (1989/1990
Bürgerkomitee 15. Januar zur Auflösung des MfS), Bettina Dziggel
(1983-89 Lesben in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin,
Gethsemanekirche), Konrad Elmer- Herzig (1989 Mitbegründer der
Sozialdemokratischen Partei in der DDR), Hans-Jürgen Fischbeck (1989
Mitbegründer von "Demokratie Jetzt", Zentraler Runder Tisch), Bernd
Florath (1989 Unabhängiger Historikerverband/Neues Forum), Bernd Gehrke
(1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch), Elisabeth Gibbels (
Schriftstellerin), Andreas Heise (1989 Neues Forum), Pedro Hertel (1989
Neues Forum, Thüringen), Werner Jahn (1989 Initiative für eine
Vereinigte Linke/Gruppe "Gründet Räte in den Betrieben"), Peter Jeschke
(1989 Neues Forum, Runder Tisch Halle, ehemals Stadtrat), Wolfram Kempe
(Schriftsteller), Samirah Kenawi (1989 Unabhängiger Frauenverband),
Thomas Klein (1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch), Lothar
König (Pfarrer, JG Stadtmitte Jena), Marinka Körzendörfer (1983-89
Lesben in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin,
Gethsemanekirche), Bernd Markowsky (1976 Haft wg. Staatsfeindlicher
Gruppenbildung/AKL und OA Jena), Isa-Lorena Messer (Neues Forum), Antje
Meurers (1989 Neues Forum Dresden, Lehrerin), Dietmar Mielke
(Friedenskreis Friedrichsfelde), Silvia Müller (1989 Vereinigte Linke,
Zentraler Runder Tisch), Wolfgang Musigmann (Offene Arbeit Erfurt, 1989
Mitglied des Bürgerkomitees Erfurt ), Neues Forum; Peter Neumann (1989
Neues Forum/Arbeitsgruppe Sicherheit), Angelika Nguyen (1989 Vereinigte
Linke), Henning Pietzsch (1989 Offene kirchliche Jugendarbeit
Jena/JG-Stadtmitte), Grit Poppe (1989 Demokratie Jetzt, Runder Tisch
Bezirk Potsdam, Landesgeschäftsführerin für DJ Brandenburg), Axel Peters
(Neues Forum/Besetzung Stasi-Waffenlager Kavelstorf/Besetzer der
Stasizentrale in Rostock), Judith Porath (1989 Junge Gemeinde
Oranienburg/Theatergruppe Theo), Elske Rosenfeld (89er Demonstrantin,
Künstlerin), Rüdiger Rosenthal (1990 Grüne Partei der DDR), Wolfgang
Stadthaus (1989 Friedenskreis Berlin), Torsten Schleipp (1989 Vereinigte
Linke, Runder Tisch Leipzig), Andreas Schmidt (1989 Neues Forum),
Andreas Schreier (Redaktion telegraph), Reinhard Schult (1989 Neues
Forum, Zentraler Runder Tisch), Anne Seeck (Dresdner Subkultur, 1989
ausgereist), Wolfgang Stadthaus (1989 Friedenskreis Berlin, Dirk
Teschner (1989 Kirche von Unten/Redaktion Friedrichsfelder Feuermelder),
William Totok (ehem. Aktionsgruppe Banat, Publizist, Berlin), Veronika
Wagner (1989 Opposition, VBK-Berlin
Montagsversammlungen,-demonstrationen), Rainer Wahls (1989 Soldatenrat
8. Motschützenregiment Drögerheide/danach StuRa HU Berlin), Dirk
Wassersleben (Redaktion telegraph), Albrecht Wetzel (1989/90
Bürgerkomitee 15.Januar zur Auflösung MfS), Dietmar Wolf (1989
Umweltbiblohek Berlin, Antifa Ostberlin); Jolly Zickler (1989 Kirche von
Unten), Siegfried Zoels (1989 Neues Forum, Runder Tisch
Berlin-Prenzlauer Berg)

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