Orientierung

Freitag, 5. September 2025

Wilhelm Rettler: Die Einsicht

Begriff und Ideologie

Dialogische Mitteilungen aus Wittenberg 
Grafik mit Hilfe von Copilot

Nr. 61 vom 6.9.2025
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Mit Begriff und Ideologie hat sich die Einsicht schon mehrfach befasst. Das Thema ist jedoch so komplex, dass wir es für geboten halten, darauf zurückzukommen. Wir sprachen darüber mit Herrn Dr. iur. Wilhelm Rettler.

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DieEinsicht: Herr Rettler, Sie haben in Ihrem Traktat über Logik und Sprache1 nachdrücklich darauf hingewiesen, dass in Deutschland das Wort Begriff fast durchgängig falsch verwendet wird. Was meinen Sie 
damit?

HerrRettler: Unsere Sprache kennt für das Wort Wort mehrere Wörter mit gleicher Bedeutung (Synonyme), so Terminus und Ausdruck. Es hat sich aber eingebürgert, und die sogenannten Qualitätsmedien machen da mit, das Wort Begriffebenfalls als Synonym für Wort zu verwenden. Begriff ist aber etwasGedankengebäude, kein Zeichen, wieWort, Terminus oder Ausdruck. Wenndas Wort Begriff als Synonym für Wort verwendet wird, so gerät man damit sprachlogisch in die Irre.

DieEinsicht: Das hört sichkompliziert an.

HerrRettler: Das ist nicht kompliziert, es widerspricht nur denSprachgewohnheiten, die man demVolk aus Verdummungsgründenangewöhnt hat.

DieEinsicht: Kommen wir auf dieIdeologie zu sprechen.

HerrRettler: Ich fange mal mit derDefinition des Kleinen politischenWörterbuchs der DDR an. Danach istIdeologie ein System dergesellschaftlichen Ideen, die durchdie materiellen Verhältnisse derGesellschaft bedingt sind. DieDefinition des Kleinen Politischen Wörterbuchs umfasst noch weitereElemente. Ich will es jedoch dabei belassen, damit es nicht zu kompliziert wird. Danach istIdeologie jedenfalls ein Gesamtsystem gesellschaftlicher Ideen,
wobei man für Ideen Begriffe setzenkann, also ein riesigesGedankengebäude.

DieEinsicht: Spielt in diesemZusammenhang der Falschgebrauchdes Wortes Begriff eine Rolle?

HerrRettler: Genau, darauf hatschon Friedrich Engels im Anti-Düring hingewiesen:

„Erst macht man sich aus dem Gegenstand den Begriff des Gegenstandes; dann dreht
man den Spieß um und misst denGegenstand an seinem Abbild, demGegenstand, der Gegenstand soll sich nach dem Begriff richten.“ (2 MEW 20, 89)

Ideologisches Denken bedeutet, die Erkenntnis von der Übereinstimmung einer Annahme mit einem Begriff bzw. einer Ideologie abhängig zu machen, wohingegen es immer geboten wäre, die Übereinstimmung des Begriffs bzw. der Ideologie mit der Wirklichkeit zu überprüfen.

DieEinsicht: Gibt es eine wahre Ideologie, die alle gesellschaftlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vollumfassend berücksichtigt?

HerrRettler: Nach meiner Auffassung kann es die unter Berücksichtigung des Satzes von 
Friedrich Engels nicht geben, der gedankliche Weg ist der falsche. Im Übrigen können wissenschaftliche Einzelerkenntnisse oft falsch sein.

DieEinsicht: Aber kann man nicht im Wege des Gedankenexperiments unterstellen, dass eine bestimmte Ideologie in allen ihren Einzelaussagen wahr ist?

HerrRettler: Die Wirklichkeit verändert sich ständig. Was heute richtig ist, kann morgen falsch sein. Eine Ideologie kann nicht dynamisch sein. Friedrich Engels wendet sich gegen einen fehlerhaften Gedankenprozess, der darauf hinausläuft, dem Begriff bzw. der Ideologie im Verhältnis zur Wahrheit als Übereinstimmung von Widerspiegelung und Wirklichkeit den Vorrang einzuräumen. Nur ein kleiner Fehler in einer ansonsten beanstandungsfreien Ideologie kann zu einer geistigen Katastrophe führen und das ideologische Kartenhaus zum
Einsturz bringen.

DieEinsicht: Können Sie ein Beispiel nennen?

HerrRettler:
Die Niederlage in der sogenannten friedlichen Konterrevolution war auch eine Niederlage des Glaubens an eine Ideologie.

DieEinsicht: Herr Rettler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



Verantwortlich: Dr. Wilhelm Rettler, Bachstraße 22, 06886 Lutherstadt-Wittenberg,
Änderungen verboten. Zuschriften und Bestellungen an whrettler@web.de.

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