Redebeitrag des Leipziger Stadtrats (Partei Die Linke) und Mitgründers des Karl-Liebknecht- Kreises Sachsen bei der 2. Bundesweiten Was-tun-Konferenz am 2.12.2023 in Frankfurt am Main.
In: MARXISTISCHE BLÄTTER 1_2024 Kommentare
Beginnen wir mit dem 1. Punkt: es hat in den letzten Jahren
dazu viele treffende Analysen gegeben, die von der Parteiführung stets ignoriert
wurden, egal ob es kollektive Beiträge von innerparteilichen Strömungen wie SL,
AKL, KPF usw. oder prominente Einzelmeinungen wie z.B. von Fabio de Masi,
Christa Luft, Hans Modrow und der Ältestenrat sowie Michael Brie waren. Die
jeweilige Parteiführung hat das stets beharrlich ignoriert und sich in ihrer
Scheinwelt bequem eingerichtet. Über Wahlniederlagen, Fehler, Defizite usw.
wird schon lange nicht mehr substantiell diskutiert; magisches Denken ist an
die Stelle ernsthafter Analyse und Erarbeitung einer linken Handlungsstrategie
getreten.
Ekkehard Lieberam und ich haben seit Gründung des
Liebknecht-Kreises Sachsen (LKS) im Jahr 2015 viele Beiträge insbesondere in
der »jungen Welt« zu den Gründen für diese reformistische Mauserung der Linken publiziert.
Hier noch mal in gebotener Kürze unsere Erkenntnisse: Ausgehend von Luxemburg,
Lenin und Robert Michels zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben dann in den 1950er
und 1960er Jahren vor allem Wolfgang Abendroth und Johannes Agnoli die Ursachen
von Anpassungsprozessen linker Parteien in der Herausbildung bürokratischer
Strukturen erkannt. Abendroth schreibt, dass sich auch in einer sozialistischen
Partei eine »Sozialschicht« herausbildet, die eigene Interessen gegenüber den
Interessen der Lohnarbeiter entwickelt und an »der verwaltungsmäßigen
Fortführung der Partei in der gegebenen Existenzweise interessiert ist«. Diese
agiert »konservativ im Rahmen dieser Aufgabe ohne über ihre eigene Situation in
der Gegenwart hinaus denken zu wollen und zu können«. Sie verliert damit unweigerlich
an »politischer Intelligenz« und entfernt sich zugleich immer weiter von der Lebenswirklichkeit
der Menschen, deren Interessen sie zu vertreten vorgibt.
Die Größe der Sozialschicht, die von der Partei lebt und
zugleich auf Parteitagen oft die Mehrheit der Delegierten stellt, hatten wir im
Herbst 2019 grob überschlagen: sie betrug in der LINKEN zusammen mit ihrer
parteieigenen Stiftung ca. 2.300 Personen und war damit bedeutend größer als zu
Zeiten der PDS (seinerzeit ca. 1.000). DIE LINKE hatte gegenüber der PDS
ebenfalls signifikant bei den Einnahmen aus der Staatskasse zugelegt. Sie ist
durch die existenzielle Abhängigkeit von pekuniären Zuschüssen und dem Angebot
vielfältiger Karrieremöglichkeiten faktisch in eine verstaatlichte,
systemkonforme Oppositionspartei verwandelt worden. Oder um es kurz und knapp
mit Oliver Nachtwey zu sagen: »Die Kritik der politischen Herrschaft war lange
ein zentrales Motiv der Linken. Aber nun lebt sie ganz gut mit und vom System.«
Damit komme ich zum 2. Punkt. Wie kann oder soll man unter diesen eher bedrückenden Umständen als Sozialist noch innerhalb der Partei agieren? Bevor ich auf diese Frage aus der Leipziger Perspektive eingehe (für anderes fühle ich mich nicht berufen), gestattet mir bitte eine kurze Vorbemerkung mit Blick auf unseren heutigen Kongress. Die Dynamik der gesellschaftlichen Bewegung ist ungeheuer gross und geht es immer schneller in Richtung einer Vertiefung der »kannibalischen Weltordnung« (Jean Ziegler). Wir brauchen daher zwingend mehr friedenspolitische und sozialpolitische Gegenmacht von links gegen die nun fast täglich verschärfte Kanonen-statt-Butter-Politik der Herrschenden (siehe das Münkler-Interview in den letzten Tagen zur atomaren Aufrüstung Europas). Tatsächlich ist derzeit aber nicht die Linke, sondern die Rechtspartei AfD zur ersten Adresse des politischen Protestes sowohl bei Wahlen als auch im außerparlamentarischen Bereich geworden.
Das linke Parteienspektrum muss sich neu gruppieren und
linke Genossinnen und Genossen sind dabei, dies zu tun. Aber es ist weder klar,
ob dies gelingt, noch gibt es bislang ein überzeugendes Konzept, wie das
gelingen kann. Wir sind noch alle auf der Suche nach dem richtigen Kompass. Bei
dieser Suchbewegung brauchen wir eine Debatte über Grundfragen linker Politik
und linker Parteientheorie. Allerdings m.E. weniger mit Bezug auf die Jahre im
und nach dem Ersten Weltkrieg, sondern eher in Bezug auf die Traditionslinie der
sozialistischen Zwischengruppen und des undogmatischen »westlichen« Marxismus
der fünfziger und sechziger Jahre, wie sie in der Debatte um die Krise der SPD
insbesondere Wolfgang Abendroth vertrat.
Es gibt auch heute (ähnlich wie damals) eine vage politische
Unzufriedenheit inner- und außerhalb der Linkspartei, aber keine größere Massenbewegung
für eine linke parteipolitische Alternative. Der weitere Niedergang der Linkspartei
scheint mir unaufhaltsam – mit einzelnen möglichen Ausnahmen. In der größten
ostdeutschen Stadt, meiner Heimatstadt Leipzig, ist die Linkspartei noch – um
mit Wolfgang Abendroth zu sprechen – »Operationsbasis« für linke Politik. Im
Leipziger Stadtrat, dem ich angehöre, sind wir die stärkste Fraktion; zusammen
mit SPD und Grünen gibt es eine relativ stabile Mehrheit in der Ratsversammlung.
Wir beeinflussen damit erheblich die Leipziger Kommunalpolitik im Interesse der
arbeitenden Menschen.
In dem Zusammenhang ein zweites Problem: Wolfgang Abendroth
schlussfolgerte aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, dass
Gründungskongresse neuer linker Parteien nicht willkürlich einberufen werden
können. Nur dann haben neue linke Parteien Erfolg, wenn eine entsprechende
Aufbruchsstimmung unter der arbeitenden Bevölkerung vorhanden ist, wenn
Hunderttausende auf der Straße eine neue konsequente linke Partei fordern. In
den Jahren 2005ff. gab es diese Aufbruchsstimmung im Zusammenhang mit dem Kampf
gegen die Agenda 2010. Heute ist sie offenkundig nicht vorhanden.
Mich beunruhigt in diesem Zusammenhang noch ein drittes
Problem: die bisherige Theorieabstinenz vom BSW, wie sie aus der Video-Botschaft
von Sahra Wagenknecht zur Gründung des Vereins und dem »Gründungsmanifest« hervorgeht.
Die Banalität und Schwammigkeit der politischen Sprache ist schon erstaunlich, wie
sie in dem Credo zum Ausdruck kommt:
»Wir brauchen eine Rückkehr der Vernunft in die Politik.« Im
Sinne von Wolfgang Abendroth sollten wir bekräftigen, dass die Durchsetzung von
Vernunft in einer Klassengesellschaft eines sozialen Subjekts bedarf.
Machtpolitische Grundlage linker Politik, so lehrte er, ist die Aktionskraft
und Aktionsbereitschaft der abhängig Arbeitenden. In diesem Sinn stimme ich der
Aussage völlig zu, dass unser Netzwerk zumindest kurz- und mittelfristig ein
Forum der theoretischen Debatte und des politischen Dialogs zwischen der
Linkspartei und der neuen Partei sein sollte.
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