„… in der eine Regierung des Volks durch das Volk sich bewegt“ Vortrag anlässlich des 150. Jahrstages der Niederschlagung der Pariser Kommune
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Genau heute vor 150 Jahren, am 28. Mai
1871, endeten in einem blutigen Massaker, das eine ganze Woche dauerte, die 72
Tage der Pariser Kommune. 72 Tage, in denen in einer Metropole der bürgerlichen
Welt nicht ein Ausschuss der besitzenden Klassen, sondern ein Rat der Arbeiter,
kleinen Handwerker, Händler und Angestellten – nicht bewusst und zielstrebig,
sondern tastend und suchend – die Geschäfte führte. 72 Tage, in denen auf dem
Pariser Rathaus die rote Fahne wehte. Aber auch 72 Tage, die heute – irgendwo
unterhalb der erstarrten Schemen und Schlagworte – vielfach vergessen sind,
auch wenn das „neue deutschland“ und die „junge Welt“ im März zum 150.
Geburtstag der Pariser Kommune thematische Beilagen veröffentlichten. Es sind
die Kämpfe (oder besser: die Niederlagen) des 20. Jahrhunderts, die den
historischen Diskurs der politischen Linken zur Pariser Kommune maßgeblich
strukturieren.
Dabei war das, was in und mit der
Kommune von den Anhängern von Louis-Auguste Blanqui, Pierre-Joseph Proudhon, den
Neojakobinern und den wenigen Mitgliedern der von Karl Marx stark beeinflussen Internationalen
Arbeiterassoziation (IAA) verhandelt wurde, im strengen Sinne des Wortes
„modern“. Die Klassenkämpfe, die sich 1871 in der Kommune verdichteten, erfassen
heute nicht mehr nur, wie damals noch, einige wenige kapitalistische Zentren, sondern
beinahe alle Ecken der Welt, in denen gearbeitet wird: Überall stehen sich
Eigentümerklasse und Arbeiterklasse gegenüber. Was nicht ansatzweise im
gleichen Maße gewachsen ist, ist das Bewusstsein darüber, dass es nicht damit
getan ist, einfach „andere Leute“ in die Rathäuser und Ministerien zu setzen,
die dann den Alltag der Lohnarbeit für die Arbeiterklasse eine Spur erträglicher
machen. Heute ist diese Einsicht in der linken Bewegung vielfach verschüttet –
vielen KommunardInnen war sie allerdings nicht fremd. Von einem ist diese in
einer Diskussion gestellte Frage überliefert: „Welchen Unterschied macht es für
mich, dass wir Versailles besiegen, wenn wir keine Antwort auf die soziale
Frage finden, wenn also der Arbeiter unter den gleichen Bedingungen weiterlebt?“
Damit nun
direkt zum historischen Geschehen, das naturgemäß mit der Vorgeschichte der
Kommune beginnt. Dazu
müssen wir uns das damals in Frankreich etablierte Herrschaftssystem, den
sogenannten Bonapartismus, etwas genauer anschauen. Frankreich war 1852 zum zweiten Mal ein Kaiserreich
geworden, regiert von Napoleon III., vormals Louis Napoleon, einem Neffen von
Napoleon Bonaparte. Napoleon III. vollzog am 2. Dezember 1851 seinen
berüchtigten Staatsstreich, der Marx im Mai 1852 zu seiner bedeutenden Schrift
„Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ veranlasste. Diesem Text entstammt eines
der berühmtesten Marx-Zitate, das auch für die Analyse der Pariser Kommune
unverzichtbar ist: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie
machen sie nicht aus freien Stücken unter selbstgewählten, sondern unter
unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen.“
Auf der einen Seite kam es
während der Herrschaft von Napoleon III. zur Schwächung der Exekutive, auf der
anderen Seite versuchte der französische Kaiser, sich durch populäre Maßnahmen
eine breite Zustimmung der Bevölkerung zu sichern. Dies scheiterte jedoch und
so setze in den 1860er Jahren eine neue Streiktätigkeit ein, die eine
bedeutende Quelle für die Kommune von 1871 werden sollte.
Der Bonapartismus als
Herrschaftsregime hatte dabei das Prinzip der Verantwortung der Regierung vor
dem Parlament aufgehoben und dem Kaiser weiten Raum für autoritäre Entscheidungen
eingeräumt. Diesen nutzte Napoleon nach 1860 beispielsweise für eine
Freihandelspolitik, die allerdings nur den
Interessen bestimmter
Industriegruppen entsprach und seine Macht im liberalen Bürgertum eher
schwächte. Dieses pochte gegen den Autoritarismus von Napoleon auf weitere
Liberalisierung und politische Mitbestimmung.
Gleichzeitig gelang es dem Regime
durchaus erfolgreich, u.a. durch steigende Profite zur Verbesserung des
allgemeinen Lebensstandards beizutragen. Die Zustimmung zum Kaiserreich kam
auch bei periodisch abgehaltenen Volksbefragungen und bei – allerdings
manipulierten – Wahlen zum Ausdruck.
Die Arbeiterbevölkerung der
damaligen Zeit war in ihrer Mehrheit noch nicht durch industrielle Fabrikarbeit
charakterisiert. Die Zahl der Großbetriebe im Bergbau, Eisen- und Textilsektor nahm
zwar im zweiten Kaiserreich zu, aber sie dominierten noch in keinem Sektor. Die
Werkstatt prägte stärker als die
Fabrik den Arbeitsalltag der
meisten Arbeitenden und der handwerklich
qualifizierte Facharbeiter
beherrschte weithin stärker als der ungelernte Industriearbeiter die Welt der
Arbeit. Insbesondere bewahrte auch die Agrarwirtschaft, die nach wie vor die
Mehrheit der französischen Bevölkerung ernährte und in der ebenso der
Kleinbetrieb vorherrschte, seine traditionellen
Strukturen. Nach wie vor
bildeten diese vor- und frühindustrielle Wirtschaftsorientierung und
Produktionsformen Hindernisse für einen schnellen Siegeszug des Kapitals mit
seiner zunehmenden Konzentration und Zentralisation von Kapital und Arbeit. Es
war dieses Neben- und Gegeneinander von Tradition und Innovation, das die
damalige französische Gesellschaft charakterisierte und in den sozialen und
politischen Konflikten deutlich zu Tage treten sollte.
Streiks. Die Streikbewegung
erreichte in den beiden Jahren vor der Pariser Kommune einen Umfang, den sie bis
1914 nicht wieder erzielte. Die Ausdehnung der Streiks wurde begünstigt durch
ihren zunehmenden
Erfolg. 1869 waren 80
Prozent der Streiks erfolgreich. Trotz der Streiks, der Existenz der 1864
gegründeten IAA und vielfältiger Organisationsversuche von Arbeitern in
zahlreichen Städten wäre es falsch, sie alle sozialistischen Zielen zuzurechnen.
Um sich gegen diese
verstärkende Opposition im Inneren aufzustellen, richtete Napoleon III. seinen
Blick zunehmend auf eine aggressive Außenpolitik. Mit dem deutsch-französischen
Krieg von 1870/71 verband das bonapartistische Regime das Kalkül, diese
innenpolitischen Probleme zu verdrängen und mit der Verteidigung der nationalen
Einheit dem Kaisertum eine neue Legitimationsgrundlage zu verschaffen. Doch
schlug diese strategische Absicht angesichts
der militärischen Überlegenheit der preußisch-deutschen Truppen gründlich fehl.
Als der Bonapartismus im Krieg seine militärische Schwäche demonstrierte,
fielen ohne Zögern auch jene von ihm ab, die bis dato ihre politische Zukunft
mit ihm verflochten hatten. Das Regime Napoleons III. verschwand weitgehend
geräuschlos.
In Paris wie in Lyon,
Marseille oder Bordeaux stießen schon im Herbst 1870 beide Richtungen
aufeinander und führten zu oftmals gewaltsam ausgetragenen innerstädtischen
Konflikten, die vielerorts in der Proklamation der Kommune münden sollte. Lange
bevor im März 1871 in Paris die Kommune proklamiert wurde, war in der
französischen Provinz bereits eine autonome Bewegung entstanden, die sich gegen
die Pariser Bevormundung stellte und auf eigene politische Traditionen
zurückgreifen konnte. Diese Bewegung in allen Teilen des Landes forderte die
Gründung selbstständiger, lokaler Kommunen sowie deren föderalen Zusammenschluss.
Überall kam es zu Ausschreitungen, Aufständen und Demonstrationen. Der berühmte
russische Revolutionär Michail Bakunin, damals in Frankreich aktiv, kommentierte
dies in einem Brief vom April 1870: „Zunächst ist durchaus nicht bewiesen, dass
die revolutionäre Bewegung absolut in Paris beginnen muss. Es ist gar nicht
unwahrscheinlich, dass sie in der Provinz beginnt.“
Nach der katastrophalen Niederlage
von Sedan am 2. September 1870 wurde Napoleon III. gefangen genommen und in
Paris die Republik ausgerufen – der Krieg ging allerdings weiter. Die Etablierung
der Republik hatte in Paris und den Provinzen unterschiedliche Folgen. Der
Norden des Landes war ohnehin von den Deutschen besetzt, was zur politischen
Passivität führen musste. Lediglich im Süden des Landes wurde die Ausrufung der
Republik aktiver aufgenommen. Dort, wo es bereits in den 1850/60er Jahren zu republikanischen
und demokratischen Bestrebungen gekommen war, wurden nun Forderungen nach
weitergehenden Veränderungen der Gesellschaft laut. In rund einem halben
Dutzend französischer Städte, wie z.B. in Lyon oder Marseille, wurden autonome Kommunen
proklamiert.
Im gesamten Land griffen die
KommunardInnen staatliche Institutionen – Polizeihauptquartiere,
Parlamentsgebäude und Gefängnisse – sowie ökonomische Ziele wie Luxusgeschäfte
an. Getragen wurde die Bewegung von Arbeitern und Handwerkern, aber auch von
Kleinbürgern. In Lyon und Marseille wirkten auch Erwerbslose am Aufbau der jeweiligen
Kommune mit. Dazu kamen bäuerlich geprägte Wanderarbeiter, Frauen und Kinder.
Sie alle konnten sich auf die radikaldemokratische Forderung nach kommunaler
Autonomie, Existenzrecht und Dezentralisierung verständigen. Dies waren in den
Provinzen die Hauptparolen der Revolutionäre. Die KommunardInnen wollten damit
nicht nur einen Regierungswechsel herbeiführen. Es ging ihnen nicht darum, den Staat
zu reformieren, sondern die Gesellschaft radikal zu verändern; die
proletarische Kommunebewegung in der Provinz wollte den Staat durch eigene
revolutionäre Komitees und Räte ersetzen. Damit einher ging auch die Ablehnung
des Zentralismus. Für die Kommunen in den Provinzen sollte Paris nicht die Hauptstadt
von Frankreich werden, sondern die einzelnen Städte sollten sich zu einem
autonomen Kollektiv in einer landesweiten Föderation verbinden. Trotz ihrer
kurzen Existenz führten die unterschiedlichen Kommunen eine Reihe wichtiger
revolutionärer Maßnahmen durch wie z.B. die Neubesetzung des Polizei- und
Beamtenapparates, die Befreiung der politischen Gefangenen, die Einführung der
weltlichen Bildung sowie die Besteuerung der Reichen. Diese Vorstellungen flossen
später auch in die Kommune von Paris ein. Während im Herbst und Winter 1870/71 im
gesamten Land Kommunen
ausgerufen wurden, kam es
überall zu Verbrüderungen zwischen der Bevölkerung und desertierten Soldaten.
Diese organisierten sich selbst, wählten ihre Offiziere und übernahmen die Verteidigung
der Kommunen. Zugleich kam es zur Bewaffnung der Bevölkerung. Dies war ein
fester Bestandteil der kommunalen Tradition. Somit war die Kommunebewegung vor
allem eine
bewaffnete Revolution und
sich ihrer Mittel völlig bewusst. Es gelang es ihnen jedoch nicht, eine
gemeinsame Schlagkraft zu entwickeln. Zwar gab es einzelne Versuche, die
Forderungen zu koordinieren, jedoch kam es zu keiner ernsthaften Zusammenarbeit
der revolutionären Brennpunkte. Diese blieben lokal vereinzelt und kurzlebig.
Dies lag natürlich auch an den Bedingungen des andauernden Krieges und der Repression des französischen Staates. Für die neue republikanische Zentralregierung war es von entscheidender Bedeutung, die lokalen Revolten zu isolieren, um deren weitere Verbreitung zu unterbinden. Neben der offenen militärischen Intervention wurden beispielsweise auch Reisepässe wieder eingeführt, die für innerfranzösische Reisen nötig waren. Ebenso wurde die Presse zensiert. Bereits Ende 1870 gab es im Grunde keine Möglichkeit mehr, die verschiedenen Kämpfe erfolgreich zu vereinen. So hatte die Pariser Kommune faktisch bereits verloren, bevor sie in Paris ausgerufen wurde. Das alles hatte Karl Marx in London schon frühzeitig erkannt und ihn mit Skepsis gegenüber den kommenden Ereignissen erfüllt.
Bereits Anfang Oktober 870
hatte sich der deutsche Belagerungsring um Paris geschlossen; alle Versuche des
französischen Militärs, diesen Ring zu sprengen, scheiterten. Mit dem am 18.
Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles gegründeten Deutschen Reich begannen
nunmehr die Waffenstillstandsverhandlungen der republikanischen Regierung
Frankreichs, deren Autorität allerdings fragil war. Im Februar 1871 hatten Wahlen
zur Nationalversammlung stattgefunden, bei der die Großgrundbesitzer und
Monarchisten die Oberhand gewannen. Die neue Nationalversammlung trat in
Bordeaux zusammen, weit weg von den deutschen Truppen um Paris. Hier
konstituierte sich auch die neue Regierung unter Jules Favre und Adolphe
Thiers, letzterer ein eingefleischter Verfechter der konstitutionellen
Monarchie. In Paris wurden sowohl der Tagungsort der Nationalversammlung als
auch die Zusammensetzung der neuen Regierung als Verrat am monatelangen Kampf
der Regierung zur Verteidigung gegen die deutsche Invasion aufgefasst. In den Quartieren der Arbeiterschaft und im
Kleinbürgertum gärte es. Die Situation spitzte sich zu, als am 18. März
Armeeeinheiten versuchten, Geschütze der Nationalgarde in ihren Besitz zu
bringen. Als die neue Regierung am frühen Morgen des
18. März 1871 ihre Truppen in Marsch setzte, um die Stellungen der
Nationalgarde im Handstreich zu nehmen und die Geschütze in die Arsenale der
Regierung zu bringen, brach der Aufstand auf. Die Wohnviertel erwachten und die Menschen sahen, was auf den Straßen
vor sich ging. Prosper Lissagaray, der bedeutendste Chronist der Pariser
Kommune, beschrieb, was daraufhin geschah: „Die Frauen gingen wie in unsern
großen Tagen zuerst vor. Die vom 18. März […] warteten nicht auf ihre Männer.
Sie umringten die Mitrailleusen und redeten die Stückführer an: ‚Das ist eine
Schande, was machst du da?‘ Die Soldaten schwiegen. […] Auf dem Montmartre gab General
Lecomte seinen Soldaten den Befehl, auf die Frauen und Männer zu schießen. Die
Soldaten verweigerten den Befehl, verbrüderten sich mit den Nationalgardisten
und verhafteten den General.“
Von dem Scheitern des
geplanten Raubs und von der Entschlossenheit in den Pariser Arbeitervierteln
überrascht, beschloss die Regierung mit den loyalen Regimentern die Stadt in
Richtung Versailles zu verlassen, nachdem bei dieser mangelhaft koordinierten Aktion zwei Generäle
von der aufgebrachten Menge zu Tode gebracht wurden. Der
folgende Abmarsch verlief weitgehend störungsfrei, weil die Bataillone der
Nationalgarde sich – in Erwartung eines erneuten Angriffs durch die Regierung –
in ihren Stadtvierteln verbarrikadierten. Als am Abend die Sonne über Paris
unterging, stand das Zentralkomitee der Nationalgarde vor der Aufgabe, das Amt
einer provisorischen Regierung zu übernehmen und die ersten Schritte auf dem
Weg zu einer wahrhaften sozialen Republik zu bahnen.
Es bleibt an dieser Stelle
festzuhalten: Die Kommune konnte tatsächlich nur Wirklichkeit werden unter den
Bedingungen der deutschen Besatzung und der damit verbundenen relativen
Schwäche der bürgerlichen Zentralregierung. Sie entstand spontan, ohne die
Avantgarde einer Partei und ohne charismatische Führungsgestalten – insofern
war die Pariser Kommune ein historischer Zufall. Zugleich zeugte sie davon,
dass die französische Arbeiterbewegung nach der blutigen Niederlage von 1848 wieder
wagte, eigene Vorstellungen zu formulieren und sie in der Praxis zu
erproben.
Kommune. Im Kommunerat waren
neben einigen Liberalen, kleinbürgerliche Radikale, Anarchisten, Jakobiner und
sozialistische Revolutionäre vertreten, die auf Grund ihrer unterschiedlichen Weltanschauungen
mit- und bisweilen nebeneinander arbeiteten. Von daher blieben viele Positionen
und Maßnahmen der Kommune vage. Zugleich war dieses Zusammenwirken an der
gemeinsamen Verteidigung der neugeschaffenen Ordnung in Paris auch eine der
Stärken der Kommune. Eine umfassende Würdigung des Wirkens des Kommunerats darf
dabei die begrenzte Zeit nicht übersehen, die seinen Mitgliedern zur Verfügung
stand. Er existierte vom 28. März bis zum 25. Mai.
Bereits ab dem 2. April
gingen die Truppen aus Versailles zur Offensive gegen die Stadt über und drängten
der Pariser Kommune den Krieg auf. Dem
Parlament und der Exekutive in Versailles galten die KommunardInnen als
Aufrührer. Der Beschluss, gegen sie zu Felde zu ziehen, konnte auf teils
passive, teils aktive Unterstützung des deutschen Militärs rechnen. Denn
schließlich: Der „Aufstand in Paris“, so Kanzler Bismarck Ende April, sei ein
gegen alle bürgerliche Ordnung gerichteter „Versuch zur Verwirklichung
sozialistischer und kommunistischer Phantasien“. Diesen „Phantasien“ einen
Riegel vorzuschieben, lag im beiderseitigen Interesse. Für die eigentliche politische Arbeit der Pariser Kommune standen nur
wenige Wochen zur Verfügung. Gleichwohl erließ der Kommunerat in dieser kurzen
Zeit etliche wichtige Dekrete, die auf eine grundlegende soziale Veränderung
der Gesellschaft abzielten. Sie waren in erster Linie Reaktionen auf die
Lebenssituation in Paris. Zugleich wiesen sie aber auch die Richtung für den
Aufbau einer sozialen Republik, die von Arbeitern und Handwerkern getragen wird
und ihren Lebensinteressen Ausdruck gibt. Revolutionär waren dabei vor allem
die Beschlüsse, die demokratische Strukturen in der Stadt umsetzen sollten. Zu
ihnen gehört die Begrenzung der Löhne von Abgeordneten und Beamten und die
jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Amtsträger. Sie machten vor allem
deutlich, wie ein basisdemokratisches Gemeinwesen organisiert werden kann, in
dem möglichst viele Menschen an der Gestaltung ihrer Lebensbedingungen teilhaben.
Insofern war die wichtigste konkrete Maßnahme der Pariser Kommune ihr eigenes
arbeitendes Dasein. Dazu zählte auch das berühmte Nachtarbeitsverbot für
Bäckergesellen; es wurden die Mietschulden aus dem Belagerungswinter 1870/71
annulliert und Zwangsversteigerungen bei den Ärmsten der Armen gestoppt. Man
hütete sich aber, das Eigentum der Besitzenden anzutasten; Arbeiter konnten jedoch
zumindest die von den Besitzern aufgegebenen Betriebe weiterführen. Bildung
sollte es fortan kostenlos geben, Kirche und Staat wurden getrennt.
Clubs, die Stadtteilkomitees
und die Bataillone der Nationalgarde, die Einfluss auf die Arbeit des
Kommunerats nahmen. Zu ihnen gehörten auch die Organisationen der Pariser
Frauen, die sich aktiv in der Gestaltung und Verteidigung der Kommune
engagierten und für ihre gleichberechtigte Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben
stritten. Als sich im März 1871 die
Pariser Kommune konstituierte, waren weder im Kommunerat noch im Zentralkomitee
der Nationalgarde Frauen vertreten. Trotzdem gilt die Kommune zu Recht als stark
von Frauen mitgeprägt. Wie ist dieser Umstand zu erklären? Tatsächlich
haben Frauen in der Pariser Kommune eine größere Rolle gespielt als in anderen
Männerrevolutionen des 19. Jahrhunderts.
Bewegung in Frankreich, die
sich bereits in den 1860er Jahren gegründet hatte, um Frauenrechte
durchzusetzen. Das war angesichts der Zweisphärenideologie, die sich in den
französischen intellektuellen Männerkreisen festgesetzt hatte, wonach Frauen
nur in der Familie ihre Wirkungsstätte haben sollten und eben nicht im Bereich
der Öffentlichkeit, auch dringend notwendig. Diese beiden Gründe haben dazu
geführt, dass die Frauen vergleichsweise sichtbarer waren in der Pariser
Kommune als bislang üblich, und das hat dann wiederum dazu geführt, dass
unmittelbar im Anschluss an die Pariser Kommune die Frauenfrage zur
Mythologisierung und auch zur Instrumentalisierung verwendet wurde: Die Linken sagten,
die Kommune war so toll, dass sogar die Frauen
sie unterstützt haben und
die Rechten postulierten, die Kommune war so schrecklich, sogar Frauen haben da
mitgemacht. Dieses Argumentationsmuster ist schon in den historischen Quellen belegbar.
So entstand dieser Mythos der Frauen der Kommune.
Ein ganz wichtiger Bereich
war natürlich die Organisation des Alltags, also Essensbeschaffung und
Verteilung, das Am-Laufen-Halten der Werkstätten, die von ihren Besitzern
verlassen worden waren, die Versorgung von Verwundeten und die Versorgung der
Kämpfenden mit Essen, das war in der Hand von Frauen, vor allem der Union des
Femmes. Auf der anderen Seite entwickelten sich aus dieser feministischen Szene
heraus auch Vereinigungen und Publikationen, in denen Frauen die Kommune
kritisch mit Analysen und Kommentaren begleitet haben.
Die Union des Femmes war die
große Frauenorganisation der Kommune, in der sich Frauen registrieren lassen
konnten, wenn sie Arbeit suchten oder wenn sie die Kommune unterstützen
wollten, sie war ein Scharnier war zur Kommuneregierung. Die Union des Femmes
hat auch mit dem Kommunerat über höhere Löhne verhandelt oder einen
Mindestpreis für Näharbeiten vereinbart, die die Kommune bei der Union des
Femmes einkaufte. Darüber hinaus gab es so genannte Widerstandskomitees in
allen Stadtteilen, in denen sich auch regelmäßig Frauen aus dem Viertel trafen,
um sowohl praktische Fragen zu organisieren als auch inhaltlich zu debattieren,
wie es weitergehen soll mit der Kommune. Es gab neben den gemischten Komitees auch
reine Frauenkomitees wie das in Montmartre, das direkt aus einer feministischen
Gruppierung hervorgegangen war.
Die
Frauen der Kommune gelten durchaus als treibende Kraft in der Kommune.
Allerdings gibt es bisher kaum detaillierte Forschungen zu ihren Aktivitäten
und Wirkungen. Viele offene Fragen sind diesbezüglich noch zu bearbeiten;
insbesondere die Zeitungsarchive
warten auf ihre Durchforstung, um z.B. die
Artikel von André Léo und Anna Jaclard zu analysieren, die eine eigene
Zeitung herausgegeben hatten. Bekannter sind natürlich die Positionen der legendären
Kommunardin Louise Michel. Ihre Texte
sind allerdings eher poetische Gefühlsausbrüche und keine objektive Analyse.
Louise Michel wurde durch die Erfahrungen der Pariser Kommune zur Anarchistin
und gelangte zur Überzeugung, dass man bei der Eroberung der institutionellen
Macht vor der Wahl steht, entweder zu verlieren, weil die anderen einfach
stärker sind, oder aber auch korrupt zu werden und so die eigenen Werte zu
verraten.
Die bürgerliche
Welt war schockiert und viele Jahre durch traumatisch gesteigerte
Revolutionsfurcht existentiell verunsichert. Als Kronzeuge empfiehlt sich
Friedrich Nietzsche: „Als ich von dem Pariser Brande vernahm, so, war ich für
einige Tage völlig vernichtet und aufgelöst in Thränen und Zweifeln: die ganze
wissenschaftliche und künstlerische Existenz erschien mir eine Absurdität, wenn
ein einzelner Tag die herrlichsten Kunstwerke, ja ganze Perioden der Kunst
austilgen konnte.“ Durch die vermeintliche Brandschatzung des Louvre tief
erschüttert, schlug er zunächst die Einladung zum Pfingstbesuch bei Cosima und Richard
Wagner aus. Erst ein Telegramm des Maestro vermochte ihn umzustimmen. Dass der
Philosoph und Schwester Elisabeth in Tribschen zu Gast waren, bezeugen
Tagebuchnotate Cosima Wagners vom 28. Mai 1871: „R[ichard] spricht nun heftig
über den Brand und seine Bedeutung, […] Pr[ofessor] Nietzsche sagt, daß für den
Gelehrten die ganze Existenz aufhöre bei solchen Ereignissen. Von Bakunin
gesprochen, ob dieser mit ansteckt?“
Wegen ihrer unverbrüchlichen Solidarität mit der Pariser Kommune landeten Bebel und sein Freund und Mitstreiter Wilhelm Liebknecht ein Jahr später vor Gericht. Im Leipziger Hochverratsprozess wurden beide wegen ihres Friedensvorschlags vom 26. November 1870 und der damit verbundenen Ablehnung der Annexion von Elsaß-Lothringen vor dem Königlich-Sächsischen Schwurgericht am 26. März 1872 zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt. August Bebel wurde darüber hinaus sein Reichstagsmandat aberkannt. Am Nachfolgegebäude des seinerzeitigen Schwurgerichts in der Beethovenstrasse/Ecke Peterssteinweg befindet sich seit vielen Jahren eine massive Gedenktafel, die an die mutige Tat von Bebel und Liebknecht erinnert.
Nicht verschwiegen werden
sollte an dieser Stelle, dass sich vor dem Hintergrund der Niederlage der
Kommune innerhalb der IAA die Konflikte zwischen den
sozialistisch-kommunistischen Akteuren um Karl Marx und den anarchistischen
Akteuren um Michail Bakunin vertieften und sich vor allem in der Frage der
zukünftigen Organisationsstruktur der IAA zuspitzten. Während der Marx-Flügel
eine politische Zentralisierung der Gesamtorganisation und einen gezielten
Ausbau der nationalen und föderalen Sektionen im Sinne der Stärkung der
politischen Schlagkraft forderte und auf der Londoner Konferenz vom 17. bis zum
23. September 1871 auch durchsetzte, lehnten vor allem die anarchistische
Strömung und die Proudhonisten jedwede Zentralisierung strikt ab und verfolgten
eine Strategie des Föderalismus ohne politisch-organisatorische Zentrale. In
der Phase der politischen Reaktion nach der Niederschlagung der Kommune führte
dies zur Spaltung der IAA und schlussendlich zu ihrer Auflösung im Juli 1876.
Seit
dem 2. April 1871 musste sich die Pariser Kommune der militärischen Offensive
der französischen Regierung erwehren. Am 21. Mai gelang den Truppen aus
Versailles die Überwindung der Pariser Stadtbefestigung. In den kommenden
sieben Tagen eroberten sie Paris gegen den erbitterten Widerstand der Kommunardinnen
und Kommunarden Straße für Straße und Barrikade für Barrikade. Wo immer eine
Stellung der Kommune fiel, traten die Erschießungskommandos aus Versailles in
Aktion, die nahezu alle überlebenden Verteidigerinnen und Verteidiger
hinrichteten. Am 29. Mai erklärte Adolphe Thiers, die Ordnung in Paris sei
wieder hergestellt. Doch mit dem Ende des Widerstands in Paris endete das
Morden nicht. Noch bis Mitte Juni waren Hinrichtungen und Morde an den
Besiegten in Paris an der Tagesordnung. Der schon zitierte Augenzeuge
Lissagaray schilderte, wie wohlhabende Pariserinnen und Pariser zur gleichen
Zeit wieder Besitz von „ihrer“ Stadt nahmen: „Seit Donnerstag lief dieser
behandschuhte, in Seide gehüllte Pöbel den Gefangenen nach, jauchzte den
Gendarmen zu, welche die Züge führten und jubelte beim Anblick der blutigen Möbelwagen.
Die Philister wetteiferten mit dem Militär an Ausgelassenheit.“
Marx
erachtete es als unabdingbar, stehendes Heer, Polizei und Beamtenapparat
abzuschaffen. „Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine
arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.“
Als ihre große soziale Maßregel galt ihm ihr eigenes arbeitendes Dasein. Ihre
besonderen Maßregeln hätten nur die Richtung andeuten können, „in der“ – nun
gebraucht Marx die berühmte Demokratie-Formel Abraham Lincolns – „eine
Regierung des Volkes durch das Volk sich bewegt“.
Die
situative Deutung dieses demokratischen und frühsozialistischen Regierungsexperiments
hat Marx bis in unsere Tage manche Schelte, aber auch Lob von unerwarteter
Seite, wie beispielsweise von Hannah Arendt, eingetragen. Das Kommunerequiem,
dies sollten Bewunderer wie Kritiker bedenken, will und kann die politischen
Partizipationsmechanismen künftiger Gesellschaften nicht vorwegnehmen. Marx
hat es vermieden, sich in dieser Frage festzulegen. Niemand kann voraussehen,
was die geschichtliche Entwicklung am Ende hervorbringt. Am Beispiel der Kommune,
dies dürfte unstrittig sein, plädierte er für radikaldemokratische Organisationsformen
und Mehrheitsentscheidungen auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts.
Für einen
historischen Augenblick schien die Geschichte im Aufstand der „Pariser Himmelsstürmer“
die Umrisse einer revolutionär erkämpften sozialistischen Gesellschaft
freizugeben. Die Tragödie des Scheiterns verlieh der Kommune symbolträchtige
Bedeutung und erhob sie zum Gründungsmythos der modernen Arbeiterbewegung.
Die Pariser KommunardInnen haben in nur 72 Tagen die Grundzüge eines revolutionären und basisdemokratischen Gemeinwesens entwickelt. Dieser Umstand erklärt sowohl, warum die Erinnerung an sie eingebrannt ist in das kollektive Gedächtnis der radikalen Linken, als auch die Tatsache, dass sie von den Herrschenden noch immer diffamiert wird. Die Aufforderung von Friedrich Engels – sich die Pariser Kommune als Modell des Sozialismus anzuschauen – birgt von daher noch immer eine enorme Sprengkraft. In diesem Sinne soll Lenin das letzte Wort haben, der im April 1911 schrieb: »Das Andenken an die Kommunekämpfer wird nicht nur von den französischen Arbeitern, sondern auch vom Proletariat der ganzen Welt in Ehren gehalten. Denn die Kommune kämpfte nicht für irgendeine lokale oder eng nationale Aufgabe, sondern für die Befreiung der gesamten werktätigen Menschheit, aller Erniedrigten und Verachteten.“
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