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Mittwoch, 24. Juni 2020

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War Marx ein Rassist? Und was ist Rassismus heute?

Diese Frage wird heute mit großer Überschrift in der Sächsischen Zeitung gestellt. Sicher ist das provokatorisch gemeint, um an der aktuellen Rassismus-Diskussion teilzunehmen. Ansonsten das hier etwas angeschärfte Thema weder neu, noch bringt es m.E. wirklich neue Erkenntnisse. Insbesondere die Zuspitzung auf Marx halte ich für fragwürdig.

Marx kam aus einer jüdischen Familie, fühlte sich jedoch dem traditionellen Judentum nicht zugehörig. Sein Vater konvertierte vom jüdischen Glauben zum protestantischen Christentum, weil er ansonsten den Beruf eines Juristen damals nicht hätte ausüben können.

Karl Marx selbst war wegen seiner Herkunft antisemitischer Beschimpfungen ausgesetzt. Aber er war auch ein leidenschaftlicher Kritiker von Religion. Und die bezog er ganz natürlich auch auf die jüdische. In diesem Sinnen schrieb er u.a. 1843 die kritischen Aufsätze "Die Judenfrage" und "Die Fähigkeiten der heutigen Juden und Christen, frei zu werden" oder 1844 "Die Heilige Familie". Gegenkritiken zur marx´schen Polemik in dieser Frage hat es immer gegeben, wie z.B. 1955 durch Hannah Arendt.

In einem Schulprojekt, das nicht unbedingt umfassend repräsentant, aber dennoch interessant ist, wurde 2018 (http://www.judentum-projekt.de/persoenlichkeiten/wissen/karlmarx/index.html):
"Die Schrift "Zur Judenfrage" ist eine Arbeit, die zu vielen Missdeutungen geführt hat, weil - vor allem im zweiten Teil - Marx die Juden einseitig mit "Schacher" und Geschäftsgeist identifiziert, also populäre Klischees und Vorurteile zu bedienen scheint.Dazu muss jedoch gesagt werden, dass es sich bei diesen Ausführungen um die kritische Rezension einer Schrift von Bruno Bauer handelt, in der dieser verlangt hatte, dass sich die Juden, um Staatsbürger zu werden, von ihrer Religion loslösen müssten. Marx weist zunächst erst einmal nach, dass diese Notwendigkeit in einem wirklich modernen demokratischen Staat nicht besteht."
Marx war immer auch als witziger Provokateur bekannt, wie z.B. in seiner Kritik an Lassalle oder im Briefwechsel mit Engels, wie wir auf der Hör-CD von Harry Rowohlt und Gregor Gysi (Random House Audio, 2009) gut mitbekommen. In der Vorrede heißt es, 
"dass die hier vorgelesenen Briefe heute mehr schockieren als sie das damals getan hätten. Judenfeindlichkeit war in Europa viel verbreiteter als heute und durchaus "Mainstream". Auch heute verpönte Worte wie z.B. "Neger" verwendete ja sogar in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts noch fast jeder, ohne sich dabei etwas Böses zu denken. Die sehr drastisch klingenden Briefe der beiden sind eben nur ein weiterer Beleg dafür, dass auch weltbekannte Menschen in erster Linie nur eines sind - Menschen und keine Götter... Damals konnte man auf Juden schimpfen, so wie wir heute auf Türken schimpfen können, weil es damals den Holocaust noch nicht gegeben hatte..." (Rowohlt)
Auch war es nicht nur in der ach so antifaschistischen DDR üblich, gegen z.B. die "jüdische Hast" zu monieren, ohne gleich als Antisemit zu gelten... Mit den rassistischen Schreiern in den Fussball-Stadien oder bei Nazi--Konzerten ist das allerdings nicht zu vergleichen.

Mit der aktuellen Kritik am Rassismus bei Marx anzusetzen, halte ich für verfehlt. Nicht zuletzt hat das 20. Jahrhundert gezeigt, was daraus wird, wenn Rassismus zur Staatsdoktrin erklärt wird. Und auch der heute noch bestehende Rassismus leugnet die Rassenideologie des Kolonialismus und des Nationalsozialsmus, den Holocaust an 6 Millionen Juden oder die systematische "Aussonderung rassistisch Minderwertiger" durch "Euthanasie" und schürt nach wie vor völkische Diskriminierung.

Unlängst fand im Deutschen Hygienemuseum Dresden eine Sonderaustellung mit dem Titel "Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen" statt. Die dazu herausgegebene Schrift vom Wallstein-Verlag, Göttingen 2018 ist sehr lesenswert. Und in der Sächsischen Zeitung erschien erst dieser Tage ein streitbarer Artikel (DPA) zur Forderung , den Begriff "Rassismus" aus dem Grundgesetz zu streichen. Hier u.a. ergeben sich wichtige Ansätze für die Politische Bildung.

G. Dietmar Rode

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