Orientierung

Montag, 8. August 2016

Simulierte Mordszenarien

Sie sollen Angst schüren und verunsichern: Mit falschen Leichenumrissen machen Täter aus dem rechten Spektrum Stimmung gegen Migranten.

Von Tobias Wolf
Sächsische Zeitung
05.08.2016
Foto: MOPO24

Erst traf es nur Bahnhöfe, in der Nacht zum Freitag war es der Fußweg vor einem Haus im Dresdner Norden. Unbekannte haben vor der Landesgeschäftsstelle der Linken in der Kleiststraße eine Art Tatort simuliert. Dabei zeichneten die Täter mit Sprühkreide Leichenumrisse auf den Asphalt – als wäre an der Stelle jemand ermordet worden. Daneben sprühten sie ein Kreuz und die Worte: „Eure Schuld Reutlingen“.
Linken-Sprecher Thomas Dudzak geht von einer asyl- und fremdenfeindlichen Motivation der Täter aus, weil die Worte ein direkter Verweis auf den Mord eines Asylbewerbers an einer Frau im schwäbischen Reutlingen seien.



Die Dresdner Polizei hat eine Strafanzeige aufgenommen, sagt Sprecherin Jana Ulbricht. Nun ermittle das Staatsschutzdezernat. Zu den Tätern gebe es noch keine Spur, es werde aber ein Zusammenhang zu ähnlichen Taten der vergangenen Wochen geprüft. Erst am Wochenende hatten Polizisten vier Männer auf frischer Tat erwischt, als sie vor dem Landtag ebenfalls einen Leichenumriss aufmalten. Drei der Männer im Alter von 31, 35 und
50 Jahren stammen aus Dresden, der Vierte ist ein 39-jähriger Freitaler.
Sie waren schon vor der Tat polizeibekannt. Die Polizei rechnet sie dem rechten Spektrum zu.

Ebenfalls am frühen Freitagmorgen fanden Bundespolizisten eine ähnliche Tatort-Simulation am S-Bahn-Haltepunkt Dresden-Strehlen. Dort hatten die Täter mit brauner Farbe den Umriss einer Leiche gezeichnet und viele Papierzettel mit der Aufschrift „Migration tötet“ verteilt. Außerdem fanden sich ebenfalls viele Hinweise auf eine Internetseite der „Identitären Bewegung“, teilt Bundespolizeisprecher Holger Uhlitzsch mit. Auch zu diesem Tatort ermittle der Staatsschutz.

Die „Identitäre Bewegung“ zählt zum Spektrum der Neuen Rechten und wird in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Ihre Anhänger tauchen auch immer wieder bei Pegida-Demonstrationen auf. Die Bewegung trat erstmals in Frankreich in Erscheinung, der deutsche Ableger fällt seit 2012 als Facebook-Gruppe auf. Vor allem junge Leute sind das Ziel der Identitären. Die Aktivisten sprechen sich gegen angebliche „Überfremdung, Massenzuwanderung und Islamisierung“ aus.

Die simulierten Tatorte sollen nach Einschätzung von Kriminalexperten die Bürger verunsichern und in Angst vor einer angeblichen Flüchtlingskriminalität versetzen. Dabei werden vor allem soziale Netzwerke im Internet wie Facebook genutzt. So verbreitet beispielsweise das asylfeindliche Bündnis „Heidenau hört zu“ Bilder der Leichenumrisse auf seiner Seite. Ansonsten sind es vor allem Meldungen zur Kriminalität von Migranten, mutmaßlich um ein einseitiges und überzeichnetes Bild von kriminellen Ausländern zu propagieren. Deutsche Straftäter finden umgekehrt auf der Seite fast keine Erwähnung.

Aktionen für die rechte Agenda

Leichenumrisse wie die vor der Linken-Geschäftsstelle oder am Haltepunkt Strehlen sind in den letzten Wochen immer wieder aufgetaucht. So fanden Bundespolizisten entsprechende Tatortsimulationen in Fußgängertunneln und Treppenaufgängen an den Bahnhöfen Dresden-Zschachwitz, Heidenau und Königstein. Auch dort lagen weiße Zettel mit der Aufschrift „Migration tötet“, Lachen und Handabdrücke mit roter Marmelade sollten Blutflecken und die Kreideumrisse den Fundort einer Leiche simulieren. Zuvor waren an zwei Heidenauer Bahnhöfen und am S-Bahn-Haltepunkt Zschachwitz arabische Schriftzüge aufgetaucht, die übersetzt: „Kehren Sie in Ihre Heimat zurück“ bedeuteten.

Die mutmaßlich rechtsextremen Täter wollen offenbar die Geschehnisse in Würzburg, München und Ansbach für ihre Agenda vereinnahmen. Oder wie im Fall des Parteibüros den Mord in Reutlingen. Vergangenes Wochenende hatte es bundesweit mehrere Aktionen der neurechten „Identitären Bewegung“ gegeben, unter anderem in Halle/Saale und vor dem Eingang des Thüringer Landtags in Erfurt.

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