Eine Replik gegen Geschichtsglitterung
von Ralf Becker
Ralf Becker/ Foto: Rode |
Ich habe mich weder unterdrückt noch indoktriniert gefühlt in diesem Bildungssystem. Aber ich habe dadurch denken gelernt, was man Leuten wie Hubertus Knabe und auch Freyer Klinger, Interview-Partner im MDR Kultur zum Thema, wohl absprechen muss. Sie haben die gleichen Reflexe wie seinerzeit die Schranzen des Politibüros bzw. wie zu viele systemrelevante Verantwortungsträger, wenn sie einen Gegner ausmachten, undifferenziert verrreißen und delegitimieren. Differenzierte Sicht – Fehlanzeige! Ich habe gelernt Tatsachen objektiv zu sehen, auch menschlich subjektive Verhaltensweisen sind solche dann objektiv gegebene Tatsachen. Denn egal was einen Menschen letztlich leitet, ob Sachgründe, ob politische oder psychopathische Schizophrenie, ob weltfremde Ideale, ob solidarische Selbstaufopferung, immer setzt das Handeln Bedingungen für das Handeln anderer, verändert somit die Ausgangslage.
Die „Unbelehrbarkeit“ der M. Honecker wurde von einer Moderatorin als „Leben in einem Paralleluniversum“ bezeichnet. Ja, was denn sonst? Wenn man eine alternative Gesellschaftsordnung vertritt gegen den bestehenden Zustand, dann lebt man in einem Paralleluniversum, so man es sich einkommensseitig leisten kann. Das betrifft doch nicht nur die Rentnerin M. Honnecker. Das betrifft alle die daran festhalten, dass der bestehende Gesellschaftszustand in Deutschland eben nicht das Ende der Geschichte ist. Aber es kostet Kraft hier in einem in seinen Grundstrukturen und grundlegenden Funktionsweisen den eigenen Vorstellungen und Überzeugungen (!) von gesellschaftlichem Zzusammenleben weitgehend widersprechenden System den objektiven Zwängen der Existenzerhaltung folgen zu müssen. Dafür nämlich geht die meiste Lebenszeit drauf. Und dann erst kann man den Rest an Energie, so man einen hat, auf politisches Engagement zur Veränderung dieser Geselllschaft verwenden. Deshalb ist die Geschichte so langsam. Die größten Teile der Menschen folgen nur den objektiven Zwängen ihrer Existenzerhaltung und merken dabei kaum, wie sie fremdbestimmt und wieder stärker von ihrem Menschsein entfremdet sind. Die wieder verstärkte abhängige Maloche für einen DAX-Konzern oder einen selbständigen Unternehmer, selbst wenn er selbstausbeuterisch tätig ist, ist nicht sinnerfüllender Zweck des Lebens, auch wenn die dominante Medienlandschaft und die politische „öffentliche Meinung“ dies heiligen möchten.
An ihren Idealen einer möglichen sozialistischen Gesellschaft hielt M. Honecker eben fest. Das kann man ihr nicht vorwerfen. Den Dogmatismus, die Ausgrenzung und ideologische Indoktrination, die sie maßgeblich in ihrer Machtfunktion ausübte, muss man ihr vorhalten. Aber die „Heerscharen“ gefügiger Vollstrecker, die oft dogmatischer und unversöhnlicher als die ministerielle Urheberin vorgingen, gibt es doch auch heute. Man schaue sich Unternehmens- oder Parteikarrieren vorurteilsfrei an. Das beste Beispiel aus der Politik ist doch unsere gegenwärtige Kanzlerin, deren Weg durch den Anus ihres parteiinternen Vorgängers dann direkt ins Kanzleramt führte. (Brutus kommt mir hier auch in den Sinn … .) Machanismen, die dem Sozialismus allein zugeschrieben und als „Systemfehler“ angedichtet werden, sind aber „bloß“ Mechanismen der Machterhaltung und -vervollkommnung in Organisationen, ob Staat, ob Gewerkschaft, ob Partei … . Und ja, leider, hat das eben in der DDR auch gewirkt, solidarisches Miteinander und demokratische Selbstbestimmung wurden im politischen Herrschaftsapparat erwürgt. Das sie heute ebensowenig stattfinden, scheint kaum jemanden zu stören.
Günstigsten Falles gibt es ein paar anerkennende Worte für den naturwissenschaftlichen Unterricht in der DDR. Was indes völlig vergessen wird: Diejenigen, die die „Wende“ herbeiführten, waren nahezu alle durch dieses Bildungssystem gegangen. Und es zeigte sich ja im Laufe der Jahre nach der „Wende“ in vielen Bereichen, dass diese Bildung weit mehr tauglich war als nur in Naturwissenschaften. Was allerdings machtpolitisch im akademischen Sektor der DDR gemacht wurde, diese Säuberungen sind ohne Beispiel. Der Antikommunismus – die Grundtorheit unserer Epoche ( Th. Mann) – lebte sich hier ungebremst aus. Macht gepaart mit ideologischer Verbohrtheit statt Bildung hat, wie meist in der Geschichte, die Oberhand bekommen. Und Macht eben entscheidet und nicht Bildung!
Nun werde ich wohl auch zu den „Betonköpfen“, den „ewig Gestrigen“, den „Unbelehrbaren“ gezählt werden. Das berührt mich wenig. Immer wurden standhafte und nachhaltige Kritiker der bestehenden politischen und sozialen Verhältnisse von den politisch Herrschenden diffamiert oder gar verfolgt – Ost wie West. Und die, die die DDR kritisch sahen und nach der „Wende“ kritisch blieben, haben kaum Karriere gemacht. Nur weil es den Osten“ so nicht mehr gibt, hat der „Westen“ lange nicht damit aufgehört. Das sieht man z. B. an dem Anspruch „Gut“ und „Böse“ auf diesem Erdball zu bestimmen. Gut“ ist, was den etablierten West-Mächten nützt. 'Im Westen nichts Neues'! Gebildeten Lesern wird dieser Satz bekannt vorkommen. Und man sieht es eben an dieser Geschichtsklitterung, bei der der Tod M. Honeckers eben nur wieder die Oberfläche bildet für ideologische Delegitimierungsversuche gegen die DDR.
Ralf Becker
Hohenstein-Ernsttal
Mitglied des Landesrates DIE LINKE.Sachsen
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