Selbsttäuschung
Kommentar von Jürgen Reents
In Schleswig-Holstein den Wiedereinzug in den Landtag klar verfehlt, in Thüringen erfolgreich bei den kommunalen Stichwahlen in Landrats- und Bürgermeisterämter eingezogen: Reduziert sich die LINKE nun doch auf eine Ostpartei? Kein Zweifel, die Zeichen für die NRW-Wahl am nächsten Sonntag stehen für die Linkspartei arg ungünstig, sie muss einen zweiten Rückschlag fürchten. Aber die unterschiedlichen Trends des vergangenen Wochenendes sind zuallererst einem unterschiedlichen politischen Umgang vor Ort geschuldet. In Thüringen stimmte das Gemisch aus konkreter Interessenvertretung (Politik für den Alltag), zukunftsweisender Phantasie (z. B. der Masterplan für eine Energiewende) und einem überzeugenden Personalangebot. In Schleswig-Holstein fehlte nicht nur von allem manches, mit der plakativen Stigmatisierung der Piratenpartei als Nazis zeigte die dortige LINKE in ihrem Wahlkampf zudem eine grobe Unfähigkeit zu kluger Auseinandersetzung.
Den zentralen Grund für die Niederlage in Schleswig-Holstein hat der Vorsitzende der LINKEN indes woanders ausgemacht: »Wir haben uns viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt«, meint Klaus Ernst. Ähnliches schrieb er kürzlich auch auf seiner Internet-Seite: Die LINKE habe mit ihren »permanenten Personaldebatten« den Aufstieg der Piratenpartei befördert. Das ist, bezogen auf die Piraten, eine eitel oberflächliche Sicht, und bezogen auf die eigene Partei eine ritualisierte Selbsttäuschung.
Abgesehen von der einen lauen Äußerung hier und der anderen zarten Klage dort, führt die LINKE überhaupt keine Personaldebatte, jedenfalls keine öffentlich vernehmbare. Seit einem halben Jahr deckelt die Parteiführung diese, ruft ihre Warnung dennoch heftig wiederholend in den leeren Raum. Dabei hätte der erfolgreiche Programmparteitag der LINKEN im Oktober in Erfurt der ideale Ausgangspunkt sein können, um unmittelbar danach die intern wie extern wahrnehmbaren Mängel an ihrer Spitze offensiv (und solidarisch) zu beheben. Und damit auch Gegenwind in die längst als bedrohlich erkennbare Lage der Partei im Westen zu fächern.
Das Problem ist weniger, dass die LINKE sich übermäßig mit sich selbst beschäftigt, sondern dass sie es ohne Vernunft und Zielstrebigkeit tut. Statt ihre wunden Stellen zu kurieren, hat die Partei sich bundespolitisch schon viel zu lange selbst gelähmt.
In der Tat, vieles macht nicht nur nach-denklich, sondern fordert zur kritischen Meinung-Bewertung heraus. Wer ist mit dem „Wir“ in der Führung der Personaldebatte gemeint? Die Ortsverbände oder Kreisverbände als Basis unserer Partei? Nein, diese sind es gewiss nicht. Denn diese haben einen Vorstand mit ihren Vorsitzenden gewählt. Leider gaben einige von ihnen die Steilvorgaben für die Medien, die mit der ihnen übertragenen Verantwortung nichts zu tun haben. Die kritischen Signale unserer Basis, die vor Ort mit dem Parteiprogramm linke Kommunalpolitik einbringen, werden vom Bundesvorstand nicht mit Konsequens zum Verändern ernst genommen. Die Arbeit des Bundesvorstandes mit den Kreisverbänden, ihre aktuelle Information, den aktuellen Austausch zu neuen Herausforderungen lässt stark zu wünschen übrig. Es lässt sich das politische Agieren vor Ort und das mit Gefühl geführte Gespräch nicht digitalisieren. Beides bedarf eines klugen politischen Managements. Und genau hier gibt es Lücken. Wir brauchen im Vorfeld des 3.Parteitages in Göttingen (2. u. 3.Juni 2012) eine sehr gründliche kritische Einschätzung unserer Führungsarbeit. So auch, wie unser starkes Potential der Bundestagsabgeordneten und Landtagsabgeordneten für den politischen Kampf zur Förderung und Unterstützung der Kreis-Stadt-und Gemeinderäte geführt wird. Kurzum, wir müssen die Kraftquell unserer Arbeit, das kritische Beleuchten unserer Arbeit von unten nach oben mit der Kraft unserer Basisarbeit aktivieren.
AntwortenLöschenIn diesem Zusammenhang fallen mir die kritischen Bemerkungen des STERN-Journalisten Hans-Ulrich Jörges zur Januar-Klausur der Linksfraktion im Bundestag ein. Nach seiner (und auch meiner) Auffassung treffen folgende, verkürzt dargestellte Thesen zur Außenwirkung der LINKEN zu.
AntwortenLöschen1. These: Die LINKE ist unsolidarisch ... nach innen ...
2. These: ... scheut die Demokratie ...
3. These: ... kommuniziert auf Steinzeitniveau und lässt keine Interaktivität zu ...
4. These: ... ist bei keinem Thema mehr Meinungsführer ...
5. These: ... praktiziert keine Alternativen, wo sie es könnte ...
Das jedoch nur auf die Parteispitze zu beziehen, wäre sehr kurz gedacht und würde uns die eigenen Augen verkleistern. Wir sollten sachlich und konstruktiv prüfen, inwiefern das auch auf unsere jeweilige Ebene zutrifft. Die Wahlen in Sachsen und im Landkreis Meißen sind so weit nicht mehr entfernt. Und mein Optimismus bröckelt.
"Wir brauchen in dieser Partei endlich eine offene Diskussion über neue Rahmenbedingungen und Strategien linker Politik in Deutschland. Diese Diffamierung jeder neuen Fragestellung als Ablenkung vom Markenkern, diese quasi religiöse Forderung nach "Kurs halten" wer immer diesen bestimmt geht nicht mehr. Wir brauchen jetzt eine vernünftige Antwort auf die Frage, warum wir am gleichen Tag in SH eine bittere Niederlage und in Thüringen unvergleiche Siege einfahren!"
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